Generationen weiblicher Dichter um 1700 in Altenburg. Anna Carrdus legt eine sorgfältige Textedition vor

Rezension von Mechthilde Vahsen

Anna Carrdus (Hg.):

Das „weiblich Werck“ in der Residenzstadt Altenburg 1672–1720.

Gedichte und Briefe von Margaretha Susanna von Kuntsch und Frauen in ihrem Umkreis. Mit einer Einleitung, Dokumenten, Biographien und Kommentar.

Hildesheim u. a.: Georg Olms 2004.

470 Seiten, ISBN 3–487–12531–5, € 68,00

Abstract: Es lässt sich nicht sagen, dass mit Margaretha Susanna von Kuntsch alles anfing, aber die in Altenburg um 1700 ansässige Frau ist intensiv mit dem geistigen und kulturellen Leben der aufstrebenden Stadt verbunden. Ebenso wie 16 andere Frauen, größtenteils aus ihrem Verwandten- und Freundeskreis. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie Gedichte verfassen, die nun in einer hervorragend edierten und kommentierten Ausgabe vorliegen. Damit werden Werke von Autorinnen der Frühen Neuzeit der literarisch interessierten, breiten Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht: Ein existentiell wichtiger Beitrag zur Geschlechtergeschichte, der sich dem Werk und der Wiederentdeckung von Autorinnen widmet.

Die literaturwissenschaftliche und historische Frauen- und Genderforschung der letzten Jahrzehnte hat viele Werke von nur unzureichend tradierten Autorinnen aus den vergangenen Jahrhunderten recherchiert, neu gesichtet und eingeordnet. Schwerpunkte waren hier vor allem die Zeiten um 1800 und 1900, die Zeit davor schien eher uninteressant zu sein, galt doch die These, dass Frauen sich erst mit dem Aufkommen des Romans vermehrt in die literarische Kultur einmischten. Dies wurde mit den Romanen von Sophie von La Roche zeitlich festgelegt auf 1770 und die Jahrzehnte danach. Doch weitere Forschungsarbeiten machten deutlich, dass diese These nicht zu halten war, publizierten bereits die so genannten gelehrten Frauen der Aufklärung wie Louise Adelgunde Gottsched oder Christiana Mariana von Ziegler, Anna Louisa Karsch oder Sidonia Hedwig Zäunemann noch vor La Roche und in anderen Gattungen.

Mehrere Sammelbände neueren Datums widmen sich verstärkt den Frauen der Frühen Neuzeit und gehen damit ein weiteres Jahrhundert zurück. Auch zu dieser Zeit gibt es in Deutschland bereits Malerinnen, Dichterinnen, Mäzeninnen, wie der Untertitel des von Kerstin Merkel und Heide Wunder herausgegebenen Bandes Deutsche Frauen der Frühen Neuzeit nahelegt. Im vorliegenden Band weist die Germanistin Anna Carrdus bereits auf das Netzwerk dichtender Frauen in Altenburg um 1700 hin und stellt Margaretha Susanna von Kuntsch mit ihren Gelegenheitsdichtungen vor. Nun folgt dem Aufsatz die anschaulich gestaltete und akribisch erarbeitete Edition von Texten der insgesamt 17 Altenburger Frauen, deren Dichtungen der Nachwelt erhalten geblieben sind. Ein Diagramm erklärt die etwas komplizierten verwandtschaftlichen Beziehungen der Frauen untereinander. Insgesamt spricht Carrdus von drei Generationen dichtender Frauen, an deren Anfang Frau von Kuntsch steht.

Das kulturelle Klima in Altenburg ist um 1700 ausgesprochen günstig: Zwei Altenburger Dissertationen von 1671 beschäftigen sich mit Fragen der Querelle des Femmes, der öffentlichen Diskussion darüber, ob Frauen gelehrt sein dürfen bzw. können. Beide Verfasser vertreten die Ansicht, dass gelehrte Frauen Beispiele sind für patriotischen Stolz (vgl. S. 47) und dass „fromme Gelehrsamkeit und gelehrte Frömmigkeit“ (S. 48) durchaus wünschenswert bei ihnen seien. In dieser Atmosphäre beginnt Frau von Kuntsch mit dem Verfassen von Gelegenheitsgedichten und geistlicher Dichtung, die aus einer Verbindung von Privatandacht mit familiären Ereignissen und Anlässen resultieren. Der Kontext von religiöser Praxis und akzeptierter Beteiligung an dieser Praxis durch Lesen und Schreiben eröffnet einen Raum für Frauen, sich dichtend zu äußern, so Carrdus. Sie orientieren sich dabei an gängigen Literaturgattungen ihrer Zeit, den Aufzeichnungen von Predigten, am Verfassen von Gebeten. Das Anlegen privater Gebetbücher unterstützt die tägliche Schreibpraxis und bietet Übungsraum für eigenständiges Dichten. So entstehen Trauergedichte, die häufig in Leichenpredigten abgedruckt werden, Gedichte für familiäre Anlässe wie Geburtstage, einige der im Buch vorgestellten Frauen schreiben gar ihre eigenen Lebensläufe, die bei ihren Beerdigungen in die Funeraldrucke übernommen werden.

Carrdus stellt bei ihrer präzise recherchierten Untersuchung heraus, dass sich die von ihr eruierten Dichterinnen an Altenburger Leichenpredigten und den darin vorkommenden Lied- und Gedichtformen orientieren. Das Schreiben dieser über drei Generationen verlaufenden Gruppe muss also in enger Verbindung mit dem zeitgenössischen kulturellen Leben der Stadt und den dort herrschenden Bedingungen gesehen werden. Diese weiblicher Dichtung gegenüber aufgeschlossene Atmosphäre schließt ein, dass Herr von Kuntsch bei seiner Frau einige Trauergedichte in Auftrag gibt, die später unter seinem Namen erscheinen. Schließlich sammelt Frau von Kuntsch ihre Gedichte und fügt sie zu einer Sammlung, bestehend aus vier Abschnitten, zusammen: Geistliche Gedichte, Trauergedichte, Glückwunschgedichte, Vermischte Gedichte. Ein Aufbau, den wir später auch bei Ziegler, Zäunemann und anderen wiederfinden und der den Konventionen der Zeit entspricht. Auf dieser Sammlung basiert die Publikation von Hunold, die auf Anregung des Enkels von Frau von Kuntsch entsteht, und die posthum 1720 erscheint: Fr. Margarethen Susannen von Kuntsch Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Dass Margaretha von Kuntsch Vorbild war für die nächsten Generationen nicht nur von Altenburger Dichterinnen, ist fast anzunehmen. Auch wenn nicht überliefert ist, ob ihre Gedichte von der in Leipzig lebenden Zeitgenossin Christiana Mariana von Ziegler gelesen und rezipiert wurden. Dazu sind weitere Forschungen nötig.

Carrdus hat mit der Herausgabe der Werke dieser 17 Altenburger Dichterinnen Pionierarbeit geleistet. Die Gedichte und Briefe sind mit einem ausführlichen Kommentar versehen, zu jeder der vorgestellten Frauen gibt es eine Biografie, die editorische Praxis ist sorgfältig, und die Einleitung gibt ein präzises Bild der Altenburger Zustände.

Damit reiht sich diese Ausgabe in die Gruppe der Forschungsarbeiten ein, die wirklich Wesentliches in der Editionspraxis leisten, was ja, wie wir wissen, mit mühseliger Detailarbeit verbunden ist und jahrelanges Recherchieren bedeutet. Die Mühe hat sich gelohnt, der Band ist auch für diejenigen lesenswert, die sich in der Zeit nicht so gut auskennen, nicht zuletzt dank des ausführlich erläuternden und einordnenden Kommentars.

URN urn:nbn:de:0114-qn071271

Dr. Mechthilde Vahsen

Düsseldorf

E-Mail: vahsen@gmx.de

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