Über die „Öffentlichkeitsarbeiterin“ Anita Augspurg

Rezension von Eric Neiseke

Susanne Kinnebrock:

Anita Augspurg (1857–1943).

Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie.

Herbolzheim: Centaurus 2005.

683 Seiten, ISBN 3–8255–0393–3, € 29,90

Abstract: Die Verfasserin zeichnet das Leben und Wirken Anita Augspurgs wissenschaftlich fundiert nach und bindet es zugleich in einen kommunikationshistorischen Kontext ein. Es ist einer vorbildlichen Quellenrecherche zu verdanken, dass mit der vorliegenden Arbeit ein objektiviertes Bild der facettenreichen Persönlichkeit Augspurg entworfen wurde. Die im Jahr 2001 an der Universität München abgeschlossene Dissertation Kinnebrocks wird nicht nur für lange Zeit als Standardwerk zur Person Augspurgs gelten, sondern gleichfalls als Einführung zur Frauen- und Frauenfriedensbewegung wertvolle Dienste leisten.

Von der Notwendigkeit einer Biographie über Anita Augspurg

Eine Biographie über Anita Augspurg? Sorgte nicht schon allein der Bekanntheitsgrad jener „prominenten (Reiz-)Figur“ (S. 19) für eine Vielzahl von Biographien, die eine weitere entbehrlich macht? Diesem Gedanken sollte man nicht vorschnell erliegen. So beeindruckend das Leben und Wirken Anita Augspurgs auch ist, so bedeutend etwa ihr Einfluss auf die erste deutsche Frauenbewegung war – eine umfassende Biographie suchte man bis zum Erscheinen der nun vorliegenden Arbeit Kinnebrocks vergeblich. Die wenigen bisher erschienen Biographien widmeten sich von wenigen Ausnahmen abgesehen entweder nur einzelnen Lebensabschnitten der Frauenrechtlerin und Pazifistin oder ließen gar einen kritischen Umgang mit zeitgenössischen Quellen vermissen. Beispielhaft hierfür seien nur die häufig schlicht übernommenen Memoiren Lida Gustava Heymanns, der langjährigen Lebensgefährtin Augspurgs, genannt. Kinnebrock verweist darauf, dass Augspurg in dem auf Heymann zurückgehenden Memoirenteil stets positiv, konsequent und erfolgreich dargestellt werde. Man müsse sich aber fragen, ob Augspurgs Persönlichkeit und Schaffen gerade durch ihre Lebensgefährtin Heymann durchweg realistisch beschrieben worden sei (vgl. S. 75). Distanziert und quellenkritisch setzt sich Kinnebrock somit mit einer zum Teil idealisierten „courageuse Allemande“ (so der Pariser Le Matin im Jahr 1924) auseinander, ohne jedoch Augspurgs tatsächliche Verdienste zu schmälern oder gar herabzuwürdigen. Die Autorin vermeidet es darüber hinaus, ausschließlich das Zusammenwirken Augspurgs und Heymanns in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Derartige Bestrebungen erwiesen sich bislang für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Lebensgeschichte Augspurgs als eher kontraproduktiv. Die hier vorgestellte Dissertation schließt somit bereits im Ansatz eine erstaunlich lange bestehende Forschungslücke.

Annäherung an das Phänomen Augspurg

Im Vordergrund der Untersuchung steht Augspurgs Einwirkung auf die Öffentlichkeit. Kinnebrock zufolge versuchte Augspurg, „als Journalistin und Aktivistin meist opponierender sozialer Bewegungen die Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu mobilisieren“ (S. 19). Die Verfasserin will erstmalig Augspurgs politisches und journalistisches Wirken „in seiner Gesamtheit, d. h. über Augspurgs gesamtes Leben hinweg und unter Berücksichtigung der Resonanz, die es auslöste“, darstellen. Hierbei seien nach der Autorin „nicht nur historische Fakten zu ergänzen, sondern auch manche gängige Einschätzung innerhalb der Frauenbewegungsgeschichte zu korrigieren“ (S. 22). Ein großer Verdienst Kinnebrocks ist es in diesem Zusammenhang, dass sie das Wirken Anita Augspurgs aus verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachtet und damit zahlreiche neue Interpretationsansätze schafft. Unverkennbar bleibt zwar, dass sich mit Kinnebrock eine Kommunikationswissenschaftlerin dem Thema annimmt: die Objekte ihrer Analyse sind das publizistische Schaffen Augspurgs, der publizistische Prozess sowie die Funktionsrollen im publizistischen Prozess. Eine wiederum einseitige, kommunikationswissenschaftliche Sicht braucht man allerdings nicht zu befürchten. Sowohl die ergänzende historische als auch frauen- und geschlechtergeschichtliche Annäherung an das Phänomen Augspurg zeugen von der breit gefächerten wissenschaftlichen Ausrichtung der vorliegenden Biographie.

Aufbau und Inhalt der Arbeit

Die einzelnen Kapitel der Dissertation orientieren sich an den „zentralen Lebens- und Schaffensphasen Anita Augspurgs“. Sie beginnen mit der Erläuterung des jeweiligen geschichtlichen Hintergrunds, behandeln sodann die politische und journalistische Tätigkeit Augspurgs und werden durch ein Resümee abgeschlossen. Einer Erläuterung der theoretischen Ansatzpunkte der Dissertation im ersten Kapitel folgt im zweiten Abschnitt Augspurgs Werdegang bis zum Jahr 1893. Augspurg wurde 1857 in Verden an der Aller (heutiges Niedersachsen) geboren. Sie wuchs in einem großbürgerlichen Elternhaus auf und genoss den Vorteil einer für Frauen in der damaligen Zeit durchaus fundierten Bildung. 1879 legte sie ihr Lehrerinnenexamen ab, folgte sodann aber ihrer Theater- und Schauspielleidenschaft. Eine begonnene Schauspielausbildung brach sie wahrscheinlich aus finanziellen Gründen ab und verschrieb sich dem einträglicheren Photographenberuf. Bis zum Jahr 1893 wandte sich die vielseitig interessierte Augspurg nur mit unregelmäßigen Beiträgen an die Öffentlichkeit. Eine eindeutige Zielrichtung ließ sich noch nicht erkennen. Kinnebrock vermutet, dass Augspurg bis zu diesem Zeitpunkt vorwiegend aus eigenem Antrieb schrieb, etwa „aus Freude am Schreiben oder um ihren Geschlechtsgenossinnen hilfreich mit Ratschlägen zur Seite zu stehen“ (S. 136). Mit Augspurgs Abhandlung „Die ethische Seite der Frauenfrage“ (1893) zeichnete sich dann jedoch die bedeutende Wende zur Frauenrechtlerin ab.

Hervorzuheben ist, dass Kinnebrock selbst Teilaspekten vertiefend nachgegangen ist. So erkennt die Autorin etwa in Augspurgs „Ethischer Seite der Frauenfrage“ (dort, S. 13 f.) eine gewisse Übereinstimmung der Forderung nach dem Recht der Frau auf selbstbestimmte Entfaltung mit den frühen emanzipatorischen Appellen des Königsberger Stadtpräsidenten Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796). Kinnebrock erläutert in diesem Zusammenhang, es könne Zufall sein, dass Augspurg in ihrem Werk ähnlich wie der Verfasser der Bürgerlichen Verbesserung der Weiber (1792) argumentiere. Denn die Rezeption jener Hippelschen Schrift lasse sich bei Augspurg erst seit 1902 nachweisen (vgl. S. 132, Fn. 319). Für einen Einfluss Hippels auf Augspurgs erste frauenrechtlich ausgerichtete Abhandlung können aber folgende Überlegungen sprechen: Schon Amalia Holst lobte bereits 1802 Hippels Engagement für die Frauen. Spätestens mit Helene Druskowitz’ Aufsatz über Hippel in der Frauenzeitschrift „Neue Bahnen“ (14. Band, 1882) dürfte aber der Königsberger Gelehrte unter den Frauenrechtlerinnen bekannt gewesen sein. Tatsächlich deuten hierauf auch noch weitere Publikationen vor 1900 hin (vgl. hierzu eingehend Neiseke, Eric: Theodor Gottlieb von Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter? Das Urteil der deutschen Frauenbewegung und dessen Folgen im historischen Kontext, in: Meder, Duncker, Czelk (Hg.): Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Böhlau 2006). Selbst wenn sich Hippels Einfluss nicht mit letzter Sicherheit nachweisen ließe, ist es doch durchaus vorstellbar, dass Augspurg vor ihrer Veröffentlichung Publikationen ihrer gleichgesinnten Mitstreiterinnen zu Rate zog. Möglicherweise wurde sie hierdurch auf Hippels Einsatz für eine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau aufmerksam und ließ seine Argumentation in die „Ethische Seite der Frauenfrage“ einfließen.

1893 begann Augspurg mit 36 Jahren das Studium der Jurisprudenz in Zürich. Als erste promovierte Juristin Deutschlands beschäftigte sie sich eingehend mit dem im Entwurf befindlichen Bürgerlichen Gesetzbuch und monierte die darin vorgesehene ungleiche Rechtsstellung der Geschlechter. So trat sie etwa nachweislich als Rednerin in Berlin, München und Nürnberg auf, um Druck auf die Politik auszuüben (vgl. S. 151 u. Fn 85). Augspurgs gesuchter und in der Öffentlichkeit ausgetragener Konflikt, die damit einhergehende Positionierung und die teils hieraus resultierende Opposition und Isolation innerhalb der Frauenbewegung sind Inhalte der Kapitel drei bis fünf. Selbst den Vertreterinnen der Frauenbewegung erschien Augspurg alsbald als zu radikal. Bezeichnend hierfür ist ein von Kinnebrock angeführtes Zitat Minna Cauers, nach dem Augspurg und ihre Lebensgefährtin Heymann an sich „lieb und gut“ gewesen seien, „doch unausstehlich in ihrer scharfen Kritik“ (S. 367). Augspurgs Einsatz für die Rechte der Frau sollte fortan aber ohnehin nicht ihr alleiniges Interessengebiet bleiben. Ihr steigendes pazifistisches Engagement während des Ersten Weltkriegs, ihre Teilnahme an der Revolution in Bayern (1918/1919) sowie ihre deutliche Kritik an der Weimarer Republik zeugen von einer Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit, die im sechsten bis achten Abschnitt thematisiert wird. Das letzte Kapitel schließt mit Augspurgs Leben im Schweizer Exil als Folge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Augspurg, die das Naziregime stets verachtete, hatte sich in ihren letzten und durch Krankheit geprägten Lebensjahren nahezu völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Das Publizieren übernahm fortan ihre Lebensgefährtin Heymann, die sich um die an Altersdemenz erkrankte Lebensgefährtin kümmerte. An dem durch Krebs bedingten Ableben Heymanns im Juli 1943 zerbrach Augspurg schließlich völlig. Sie starb kurz darauf am 20. Dezember 1943 an einer Lungenblutung im Alter von 86 Jahren.

Fazit: Ein Gewinn für viele wissenschaftliche (Teil-)Disziplinen

Da die Dissertation bereits im Jahre 2001 abgeschlossen und erst zum jetzigen Zeitpunkt veröffentlich wurde, wird man davon ausgehen können, dass Kinnebrock ihre Arbeit ergänzt und auf einen breiteren Leserkreis zugeschnitten hat. Anders lässt es sich kaum erklären, dass etwa allgemein bekannte Personen in den Fußnoten mit einer Kurzbiographie vorgestellt werden (so etwa Rainer Maria Rilke in Fußnote 226). Im Anhang findet sich eine Zeittafel, die Augspurgs Werdegang der historischen Entwicklung der Frauen- und Frauenfriedensbewegung sowie der Deutschen (Politik-)Geschichte gegenüberstellt. Die Auswertung der Archivalien wurde vortrefflich gemeistert. Angesichts der durchaus schwierigen Quellenlage ist dies nicht selbstverständlich. Schließlich sahen sich gerade die Vertreterinnen des radikalen Flügels der Frauenbewegung aufgrund ihrer oftmals pazifistischen Haltung vom Naziregime verfolgt und vernichteten zahlreiche Aufzeichnungen. Die Auswahl der von Kinnebrock hinzugezogenen Sekundärliteratur ist nahezu vollständig. Nicht nur für Historiker war Augspurgs Wirken von Interesse und wurde insoweit bereits von mehreren Wissenschaftsdisziplinen aufgegriffen. Umso erfreulicher ist es, dass Kinnebrock ebenfalls fächerübergreifende Literatur nicht vernachlässigt hat. Die vorliegende Veröffentlichung wird damit sowohl für den interessierten Laien als auch für Wissenschaftler/-innen verschiedenster Forschungszweige von großem Gewinn sein.

URN urn:nbn:de:0114-qn071192

Eric Neiseke

Universität Hannover, Juristische Fakultät

E-Mail: Eric.Neiseke@web.de

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