Die Vielfalt der Frauen-Leben

Rezension von Christian Klein

Christian und Nina von Zimmermann (Hg.):

Frauenbiographik.

Lebensbeschreibungen und Porträts.

Tübingen: Gunter Narr 2005.

388 Seiten, ISBN 3–8233–6162–7, € 49,00

Abstract: Der Band umfasst achtzehn Beiträge, die sich zum großen Teil mit der Analyse von Texten über Frauenleben befassen, und vermittelt einen Eindruck von den verschiedenen Aspekten der Frauenbiographik.

Auch unter deutschsprachigen Literaturwissenschaftler/-innen hat sich inzwischen herumgesprochen, dass biographisches Arbeiten weder unreflektiert noch erkenntnislos sein muss. In den vergangenen Jahren sind nicht nur einige Biographien aus literaturwissenschaftlichen Federn erschienen, die, wie etwa das Bachmann-Buch Sigrid Weigels, zeigen, dass biographische Studien wesentlich zum Verständnis literarischer Texte beitragen können und nicht zwangsläufig im Sumpf persönlich-pikanter Histörchen stecken bleiben müssen. Ferner sind in jüngerer Zeit einige Publikationen erschienen, die sich biographischem Arbeiten auch von systematischer Seite her nähern und sich der Chancen und Schwierigkeiten dieser Herangehensweise annehmen. In dieser Perspektive hat eine der zentralen Fragen stets zu sein, inwieweit Biographien ein bestimmtes Gesellschaftsbild über die Auswahl der „Biographieobjekte“ perpetuieren und stabilisieren. Dabei ist ungeachtet einiger positiver Entwicklungen noch immer festzustellen, dass nicht nur die Auswahl der Persönlichkeiten, denen Biographien gewidmet werden, sehr einseitig ist, sondern dass auch der Befund, den Irmela von der Lühe und Anita Runge bereits 2001 stellten, demzufolge die Geschichte der Biographik als Geschichte eines Ausschlusses fortgeschrieben wird, weiterhin zutrifft (vgl. Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 2001, S. 11). Dass von diesem Ausschluss gerade auch Frauen betroffen sind, liegt auf der Hand. Der von Christian und Nina von Zimmermann herausgegebene Sammelband Frauenbiographik. Lebensbeschreibungen und Porträts will hier einen Kontrapunkt setzen und einen Beitrag dazu leisten, die „bisher größtenteils noch verborgene Geschichte der Frauenbiographik […] in ihrem Erscheinungsbild von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart sichtbar zu machen und kritisch zu reflektieren“ (S. 32).

Die achtzehn Aufsätze des Bandes sind in sechs Teile gegliedert: 1.) „Zur Einleitung“, 2.) „Mythologie und Gestalt des Weiblichen“, 3.) „Kollektivbiographik“, 4.) “ (Frauen)Biographische Gattungen in der Frühen Neuzeit“, 5.) „Gegenwart: zur Praxis der Frauenbiographik“ und 6.) „Datenbank: Frauenleben dokumentieren“.

Im Einleitungsteil versucht zunächst Christian von Zimmermann, einen Überblick über Grundlagen des biographischen Arbeitens zu liefern. Hierbei bleiben allerdings jüngere Publikationen unberücksichtigt, etwa der von Hans Erich Bödecker herausgegebene Sammelband Biographie schreiben (Göttingen 2003) oder der von Lloyd E. Ambrosius edierte Band Writing Biography Historians and Their Craft (Lincoln 2004). Die partielle Ausblendung aktueller Debatten spiegelt sich entsprechend in einigen Ausführungen von Zimmermanns. So ließe sich beispielsweise der Hinweis, dass sich die literaturwissenschaftliche Biographieforschung künftig weniger den Inhalten zuwenden müsse, sondern mehr „den rhetorischen Verfahren, welche Fakten erst als faktisch erscheinen lassen“ (S. 16), mit einem Verweis darauf begegnen, dass spätestens seit Hayden Whites Buch Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe (Baltimore 1973) diese Diskussion mehr oder weniger fruchtbringend geführt wird. Die aktuelle narratologische Forschung (im Anschluss an Genettes These vom „Wahrhaftigkeitspakt“) geht ohnehin eher von der Überlegung aus, dass faktuales (im Gegensatz zum fiktionalen) Erzählen vor allem durch spezifische Rezeptionsmuster bestimmt ist.

Nina von Zimmermann streicht in ihrem Einleitungsbeitrag „Zu den Wegen der Frauenbiographikforschung“ heraus, dass erst in den 1970er Jahren „die Frauenbiographik in das Interesse der Literatur- und Geschichtswissenschaft gerückt“ sei (S. 18), und liefert eine interessante Übersicht zur theoretischen Entwicklung der feministischen Biographik. Dabei sei es zunächst darum gegangen, die vorherrschende Geschichtsschreibung zu erweitern und die Leistungen von Frauen zu betonen. Vernachlässigt worden sei im Zuge des Verfassens von Biographien vorbildlicher Frauen jedoch die Betrachtung jener großen Zahl von Biographien, die Frauen bereits in der Vergangenheit schrieben. Dadurch wurde die Analyse typischer Erzählmuster lange unberücksichtigt, was sich erst seit kurzem verändere.

Im zweiten Teil des Bandes findet sich neben einem Aufsatz von Florian Ebeling über Ludwig Klages’ Bild von dessen Geliebter Franziska zu Reventlow, in dem gezeigt wird, wie stark Klages’ Frauenbild die Wahrnehmung der späteren Biographen beeinflusste, oder einem Beitrag von Thomas Seiler über die finnisch-schwedische Dichterin Edith Södergran und die Konstruktion weiblicher Autorschaft, wobei die Forschung zu Södergran deren Lyrik häufig als „Reflex ihres Lebens“ (S. 93) deutet, ein Aufsatz von Joachim Grage mit dem Titel: „Entblößungen: Das zweifelhafte Geschlecht Christinas von Schweden in der Biographik“. Grages These zufolge liegt die Faszination, die von der gerade einmal zehnjährigen Regentschaft Christinas ausgeht, darin begründet, dass „sich der Lebensentwurf, der in der Biographik dargestellt wird, nicht in Einklang bringen läßt mit gängigen Konstruktionen des Weiblichen und Männlichen“ (S. 36). Des Weiteren beschäftigen sich in diesem Teil des Buches Nina von Zimmermann mit Clara Tschudis Biographien von Frauen aus europäischen Fürstenhäusern und Kirsten Wechsel mit Judith Thurmans Karen-Blixen-Biographie.

Der dritte Teil des Bandes besteht aus einem Aufsatz von Christian von Zimmermann über Geschlechterkonzeptionen in der Schweiz und dem sehr grundlegenden Beitrag von Gisela Febel, der sich dem Thema „Frauenbiographik als kollektive Biographik“ widmet. „Die Geschichte der Frauen ist markiert von einer mehrfachen Abwesenheit“ (S. 129), konstatiert Febel und sieht die spärliche Präsenz von Frauen in der Geschichtserzählung in deren geringer Wahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum begründet. Diese Ausschlussmechanismen sowie das Fehlen von Quellen- und Archivmaterialien führe, so Febel, dazu, dass Frauenleben häufig kollektivbiographisch geschildert würden. Ausgehend von einer Aufgliederung der Kollektivbildungen, gelangt Febel zu verschiedenen Stereotypen und Ordnungsmustern, denn „in die Frauenbiographik ist stets eine Geschichte der Frauenmythen eingewoben“ (S. 136). So finden sich neben den Mütterlichkeitsbildern etwa häufig Mariengestalten, Vorstellungen von Musen oder Heilerinnen, die zur Durchsetzung eines bestimmten Wertesystems (und damit bürgerlichen Frauenbildes) dienten.

Bei einem Werk, das sich auch der Reflexion auf der Metaebene verschreibt, überrascht angesichts der anhaltenden Diskussion darüber, ob die Biographik als solche überhaupt eine Gattung konstituiert, die Überschrift des vierten Teils ein wenig, die gleich verschiedene „biographische Gattungen“ ausmachen zu können meint. Als biographisch ausgerichtete Textsorten, deren gattungskonstituierende Qualitäten höchst unterschiedlich sind, werden vorgestellt: das literarische Porträt im 17. Jahrhundert (von Christiane Solte-Gresser), die Autobiographie der dänischen Frauenrechtlerin Charlotta Dorothea Biehl (von Sven Hakon Rossel) und Memoiren der „Ohrenzeuginnen am französischen Hof“ (von Eric Achermann). In ihrem Aufsatz „Abweichendes von Frauen: Biographische Momente in einem spätbarocken Kompendium“ untersucht Irmgard Wirtz ferner die spätbarocke Sammlung von „mehr als 10000 bewundernswerten Begebenheiten“ (S. 207) von G.B. Bagatta, die unter dem Titel Admiranda Orbis Christiani erschien.

Helmut Scheuer untersucht im fünften Teil des Sammelbandes die Anna-Seghers-Biographik und stellt fest, dass die Lebensbeschreibungen aus DDR-Zeiten Seghers Leben „in feste biographische Muster mit einer klaren Teleologie bzw. Entelechie einpressen“ (S. 313), während aktuelle Biographien die (Selbst-)Stilisierung Seghers aufgreifen und das Widersprüchliche betonen. Daneben werden Ines Geipels Inge-Müller-Biographie (von Susanne Hochreiter), Dieter Kühns Frauenbiographien (von Jonathan J. Long) und Uwe Johnsons Reise nach Klagenfurt (von Ralf Georg Bogner) untersucht.

Den sechsten Teil konstituiert ein Beitrag von Ilse Korotin, in dem sie das Projekt „biografiA – Biograhische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen“ vorstellt.

Wie häufig bei Sammelbänden, die eine Tagung dokumentieren, so ist auch an vorliegendem Band die Diversifizität der Beiträge augenfällig. Sicher wäre es sinnvoll gewesen, die Textsorten, denen sich die verschiedenen Aufsätze widmen, im Einzelnen genauer zu unterscheiden und systematisch zu verorten. Denn im Hinblick auf Biographien, Autobiographien, Memoiren, literarische Porträts, biographische Romane oder enzyklopädische Sammelwerke lassen sich auf erzähltheoretischer Ebene bedeutende Unterschiede konstatieren, die herauszuarbeiten sicher einen Erkenntnisgewinn bedeuten würde. Der vorliegende Band enthält zahlreiche interessante Aufsätze, die neue Perspektiven auf das Feld der Frauenbiographik eröffnen und zeigen: Die Frauenbiographikforschung steht erst am Anfang.

URN urn:nbn:de:0114-qn071129

Dr. des Christian Klein

Universität Wuppertal, FB Geistes- und Kulturwissenschaften

E-Mail: chklein@uni-wuppertal.de

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