Ein erweiterter Blickwinkel auf Gender Mainstreaming

Rezension von Gesine Fuchs

Ute Behning, Birgit Sauer (Hg.):

Was bewirkt Gender Mainstreaming?

Evaluierung durch Policy-Analysen.

Frankfurt a.M., New York: Campus 2005.

240 Seiten, ISBN 3–593–37608–3, € 29,90

Abstract: Der vorliegende Band füllt eine Lücke zwischen der wissenschaftlichen Fundamentalkritik an Gender Mainstreaming und optimistischen Anleitungen zur Umsetzung von Gender-Mainstreaming-Strategien, indem er Kontroversen, Ansätze theoriegeleiteter Begleitforschung und erste Ergebnisse versammelt. Die Autorinnen konzentrieren sich insbesondere auf die politischen, auch mikropolitischen, Bedingungen zur Umsetzung. Das Buch ist empfehlenswert für alle, die Gender Mainstreaming umsetzen wollen und dazu Politik treiben müssen.

Dieses Buch sticht angenehm aus der üppig vorhandenen deutschsprachigen Literatur zu Gender Mainstreaming (GM) heraus. Einer optimistischen Welle zum rasanten Aufstieg des Konzepts, nämlich in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive des Geschlechterverhältnisses einzubeziehen und alle Entscheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechter nutzbar zu machen, folgte eine fundamentale Kritik und Ablehnung des Ansatzes z. B. als neoliberal, was eher programmatisch denn empirisch angelegt war. In neuen Wortmeldungen wird Gender Mainstreaming, auch aus den professionellen Interessen der Autorinnen heraus, verteidigt. Im Focus steht dabei die richtige Umsetzung des Konzepts in der Praxis. Zur Zeit fehlen jedoch eine theoretisch angeleitete Begleitforschung und Analysen bisheriger Umsetzungsprozesse. Der vorliegende Band liefert erste Anregungen hierzu.

Drei Stränge zusammenführen

Ist GM besser als herkömmliche Gleichstellungspolitik in der Lage, die Geschlechterverhältnisse nachhaltig zu verändern? Um diese Frage zu beantworten, werden drei Stränge im Band zusammengeführt, die Policy-Analyse, die vergleichende (Wohlfahrts-)Staatsanalyse und institutionentheoretische Überlegungen. Der Band ist aus einer Tagung über „Institutionenwandel und Gender Mainstreaming“ des Wiener Instituts für Politikwissenschaft und des Instituts für Höhere Studien hervorgegangen.

Ein erster Block der Beiträge ist der Umsetzung und den Debatten über GM gewidmet, im zweiten Teil werden Ansätze sozialwissenschaftlicher Begleitforschung analysiert und schließlich drittens erste Befunde präsentiert.

Barbara Stiegler, überzeugte Vertreterin des GM-Ansatzes, zeichnet zuerst ausgewogen und strukturiert die aktuelle Kritik an GM nach, insbesondere auch für Deutschland. Heike Kahlert zeigt auf, dass GM durch den Verweis auf Effizienzsteigerung passfähig zum New Public Management ist. Sie benennt das black-box-Dilemma von GM, dass nämlich diese Top-Down-Strategie bei der Führungsriege einen Bewusstseinsstand und ein commitment voraussetzt, dass durch GM gerade erst geschaffen werden soll und muss. Kahlert verdeutlicht die zentrale Bedeutung des Geschlechterwissens in einer Organisation und zeigt auf, welch anspruchsvolle Aufgaben des Umlernens, Vermittelns und Transformierens Gendertrainer/-innen und -berater/-innen bei der Umsetzung von GM haben. Delia Schindler vergleicht die Umsetzung zweier „populärer“ Konzepte, der Nachhaltigkeit und des Gender Mainstreamings, miteinander. Beiden ist ein „fluider Charakter“ und die Möglichkeit einer „Leitbildfunktion“ gemein, die die Chance eröffnen, Policy-Prozesse zu verändern. Bisherige Erfahrungen, dass Nachhaltigkeit und Lokale Agenda 21 in späteren Politikformulierungen eben nicht „mitgedacht“ werden, stimmen für GM allerdings eher skeptisch.

Ansätze der Begleitforschung

Fünf Beiträge befassen sich mit Ansätzen der Begleitforschung. Birgit Sauer untersucht institutionalistische Ansätze in der Politikwissenschaft daraufhin, inwiefern diese geschlechterkritische Begriffe und analytische Perspektiven für die Untersuchung von organisationellem Wandel und GM zur Verfügung stellen können. Sie fächert einen Fragenkatalog auf, der mit Ansätzen des New Institutionalism beantwortet werden kann, und verweist darauf, dass gesellschaftliche Strukturen, politische Prozesse, Institutionen, Subjekte sowie Diskurse in ihrer Interdependenz berücksichtigt werden müssen. Die Forschung hat gezeigt, wie zentral wohlfahrtsstaatliche Arrangements für die Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses sind. Darum ist die vergleichende Wohlfahrtsstaatsanalyse ein attraktives und bereits relativ elaboriertes Instrumentarium. Teresa Kulawik schlägt vor, sich des Regime-Ansatzes zu bedienen, um die voraussetzungsvolle Umsetzung von GM im Nationalstaat zu untersuchen. Für Regina Dackweiler sind Geschlechterregimes eine zentrale Kontextbedingung für die Umsetzung von GM und deren Analyse somit zentral, um die Chancenstrukturen von GM abzuschätzen. Ute Behning weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass GM als „europäische Strategie“ mitnichten in der Europäisierungsforschung berücksichtigt wurde. Um die Frage nach der möglichen Konvergenz der wohlfahrtsstaatlichen Arrangements in der EU zu beantworten, sei die Untersuchung von GM mit Hilfe von diskurs- und institutionentheoretischen Ansätzen notwendig. Silke Bothfeld zeigt in ihrem Text über Policy-Learning, wie voraussetzungsvoll das von GM intendierte Lernen ist; es hängt von Wissen, Lernfähigkeit und -willigkeit beteiligter Akteur/-innen ab – also eben nicht beispielsweise nur von den „guten Argumenten“ der wissenschaftlichen Beratung. Die Analyse von GM muss die Tatsache einbeziehen, dass kognitive und emotionale Prozesse zentral für den Erfolg einer politischen Maßnahme sind.

Voraussetzungsvolle Praxis

Der dritte Teil verdeutlicht, wie voraussetzungsvoll die Umsetzung von GM ist. Sünne Andresen und Irene Dölling zeigen mit ihrer empirischen Studie über ein Berliner Bezirksamt, dass die Implementation von GM von Machtverhältnissen und Interessendivergenzen abhängt und davon, welche Deutungsmuster sich in Aushandlungsprozessen über die Umsetzung durchsetzen können. Sie stellten zudem fest, dass das Geschlechterwissen der Beteiligten keineswegs linear einem Gender-Training zugänglich ist, sondern dass es eine spezifische Art von Wissen darstellt, das nicht nur intellektuell ist. Sabine Lang untersucht exogene Faktoren wie das gesellschaftspolitische Umfeld für die Umsetzung von GM auf lokaler Ebene. Als Problempunkte macht sie die Präsenz von Frauen in Entscheidungsgremien, die Akzeptanz und Verstetigung kommunaler Frauenpolitik, den geschlechtersensiblen Umgang mit der lokalen Zivilgesellschaft und schließlich mögliche Synergieeffekte zum New Public Management aus. Christine Färber bekräftigt anhand des Beispiels von GM in der Städtebaupolitik die wesentlichen Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Integration von Genderaspekten in ein Politikfeld: eine angemessene Frauenrepräsentanz auf allen Ebenen des politischen Entscheidungsprozesses, die Erhöhung der Genderkompetenz in den entsprechenden Verwaltungen mit Einbindung der Frauenbeauftragten sowie die Beteiligung der Bürger/-innen und ihrer Kompetenzen. Sie diskutiert verschiedene Maßnahmen dazu und weist daraufhin, dass die Integration „erheblicher politischer Anstrengungen“ bedarf.

Monika Mokre schließlich analysiert das Potenzial des EU-Verfassungsentwurfs für Geschlechtergerechtigkeit und plädiert für eine breite Diskussion über Formen der Demokratie, die für das europäische Mehrebenensystem adäquat und zeitgemäß sind und für die produktive Austragung von Konflikten geeignet sind. Dem kann man in der aktuellen Situation nur zustimmen.

Der Nutzen

Der Nutzen des hier besprochenen Bandes liegt darin, dass er den Blick auf den weiteren Kontext des GM weitet, indem ein Bogen von der Betrachtung von Institutionen über die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterregime bis hin zur Analyse von Lernprozessen gespannt wird. Die Ergebnisse tragen dazu bei, die Umsetzungschancen und -schwierigkeiten realistischer einschätzen zu können. Den zweckoptimistischen Anleitungen zur Umsetzung von GM werden Analysen systematischer politischer Bedingungen und Hindernisse entgegen gesetzt – etwas, was Autor/-innen mit einem aus der Organisationsentwicklung stammenden theoretischen Hintergrund nicht leisten können. Er ist darum für alle von unschätzbarem Wert, die GM in ihrer Organisation umsetzen wollen und dazu Politik treiben müssen.

URN urn:nbn:de:0114-qn063076

Dr. phil. Gesine Fuchs, Politikwissenschaftlerin

Basel

E-Mail: gesine.fuchs@unibas.ch

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