Interniert, demokratisiert, rehabilitiert

Rezension von Nicole Kramer

Kathrin Meyer:

Entnazifizierung von Frauen.

Die Internierungslager der US-Zone 1945–1952.

Berlin: Metropol 2004.

300 Seiten, ISBN 3–936411–24–7, € 19,00

Abstract: Aus sicherheitspolitischen Erwägungen internierten die alliierten Besatzer nach Ende des Zweiten Weltkriegs ehemalige Funktionäre und Unterstützer des NS-Regimes, darunter auch eine Reihe von Frauen. Kathrin Meyer untersucht Intention, Planung und Durchführung der Internierungspolitik erstmals für die gesamte US-Zone, wobei sie sich besonders den internierten Frauen widmet. Die empirisch fundierte Untersuchung wirft ein neues Licht auf die amerikanische Internierungspolitik. Die an frauen- und geschlechtergeschichtlichen Fragen interessierten Leserinnen und Leser werden nach der Lektüre der Arbeit möglicherweise jedoch ein wenig enttäuscht sein.

Frauen hinter Stacheldraht

Die Geschichte der Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist bis heute mit dem Mythos der „Trümmerfrauen“ verknüpft. Sie verkörperten Wiederaufbau und Neubeginn. Dass ein Teil der „Trümmerfrauen“ auf eine wenig rühmliche Vergangenheit zurückblicken konnte und sich nach 1945 für die Unterstützung des NS-Regimes als Funktionärinnen verantworten musste, ist hingegen von der Geschichtswissenschaft kaum thematisiert worden. Kathrin Meyers Dissertation über die Internierungspolitik der amerikanischen Besatzungsmacht, die sich im besonderem Maße der Internierung von Frauen widmet, eröffnet daher eine neue Perspektive.

Noch während der Kampfhandlungen hatten die amerikanische und die britische Militärführung Direktiven erlassen, die es ermöglichten, führende Nationalsozialisten und einflussreiche Unterstützer des „Dritten Reiches“ ohne konkreten Tatverdacht gefangen zu nehmen. Dieser „Automatische Arrest“ war kein Ausdruck von Siegerjustiz, sondern Folge sicherheitspolitischer Bedenken der amerikanischen Besatzer gegenüber der deutschen Bevölkerung. (vgl. S. 68) Die Frauen stellten in doppelter Hinsicht einen Risikofaktor dar: Erstens bescheinigte eine von der amerikanischen Regierung in Auftrag gegebene und 1944 fertiggestellte Studie der weiblichen Bevölkerung Deutschlands eine große Begeisterung für den Nationalsozialismus. Zweitens gab es Befürchtungen, Frauen könnten ihre weiblichen Reize zum Zweck der Spionage und Sabotage einsetzen. Neben männlichen wurden also auch eine Reihe weiblicher Funktionsträger des NS-Regimes in den Lagern der amerikanischen Besatzungszone interniert. Anfangs gab es keine Trennung nach Geschlechtern, Männer und Frauen waren in gemeinsamen Lagern untergebracht.

Meyer beschreibt ausführlich den Aufbau und die Entwicklung der Internierungslager bis zu ihrer Auflösung1952 und löst damit ihren Anspruch ein, erstmals die gesamte US-Zone in den Blick zu nehmen. In der Flut von Angaben zu Interniertenzahlen kann leicht der Überblick verloren gehen. 1946 waren etwa 2.300 Frauen in der amerikanischen Besatzungszone interniert, was einem Anteil von 3 % aller Internierten entsprach. Erst in diesem Jahr richtete die amerikanische Militärregierung Ludwigsburg 77 als zentrales Lager für Frauen ein. Mit der Übergabe der Internierten an die deutschen Ministerien der politischen Befreiung wurden Frauen auch in separaten Abteilungen in Augsburg-Göggingen in Bayern und in Darmstadt in Hessen untergebracht.

Leben im Internierungslager

Die Autorin beschäftigt sich sowohl mit der Planung und Programmatik als auch mit der Umsetzung der Internierungspolitik, vor allem mit der Gestaltung der Lebensumstände in den einzelnen Lagern. Von Anfang an bemühte sich die amerikanische Militärregierung um ausreichende Ernährung, angemessene Unterbringung und ausreichende medizinische Versorgung der Internierten, obwohl es im vom Krieg zerstörten Deutschland immer wieder zu Engpässen kam. Im Vergleich zu anderen Besatzungszonen waren die Lebensbedingungen in den Lagern der US-Zone wesentlich besser, bisweilen klagten deutsche Behörden sogar, dass die politisch unbelastete Zivilbevölkerung schlechter versorgt sei als die Internierten. Meyer wertet die Bemühungen der Amerikaner um eine humane Behandlung ihrer Gefangenen als Weg einer „praktischen Demokratisierung“. (S. 142) Auch wenn die Internierungslager nicht als Umerziehungsmaßnahme intendiert waren, so hatten doch gerade die Etablierung einer Internierten-Selbstverwaltung und das umfangreiche kulturelle Programm eine solche Funktion.

Als die deutschen Behörden die Verantwortung für die Lager übernahmen, änderten sich die dortigen Lebensbedingungen. Erst ab diesem Zeitpunkt bestand eine Arbeitsdienstpflicht für die Internierten. Lagerspruchkammern wurden eingesetzt, und die bevorstehende Entlassung der Internierten führte zu einem Umdenken der amerikanischen Militärregierung. Sie forderte von den deutschen Befreiungsministerien explizit, Demokratisierungsmaßnahmen durchzuführen, damit die Internierten nach ihrer verbüßten Strafe wieder in die Gesellschaft integriert werden konnten. Während Baden-Württemberg daraufhin ein ambitioniertes Programm erstellte und auch in die Tat umsetzte, ignorierten die Verantwortlichen in Bayern die Anweisung der Amerikaner und blieben vollkommen untätig.

Bei der Frage nach der Wirksamkeit der Demokratisierungsmaßnahmen und der Erfahrung der Internierten zeigen sich die Grenzen des verfügbaren Quellenmaterials. Berichte von Internierten gibt es nur wenige, und mit Recht wird auf die Quellenproblematik der Selbstzeugnisse verwiesen. Meyers Einstellung, nur die positiven Äußerungen in Interniertenberichten als glaubwürdig anzusehen und zu verwerten, ist jedoch problematisch. (Vgl. S. 31) Kritische Bemerkungen, wie beispielsweise die Gleichsetzung von Konzentrations- und Internierungslagern, die in einigen Selbstzeugnissen auftauchen und die die Autorin trotz ihrer Vorbehalte auch erwähnt, ermöglichen wichtige Rückschlüsse auf die Wahrnehmungen der Internierten.

Moral und Geschlecht

Die Forschung bewertete die amerikanischen Internierungspolitik bisher überwiegend negativ und bezeichnete sie sogar als unrechtmäßig und verfehlt. Sie stützte sich dabei auf das Argument, dass die Belastungseinstufungen der Lagerspruchkammern, die 1946 die Arbeit aufnahmen, sehr niedrig waren. Die Härte der Internierungshaft war angesichts dessen nicht gerechtfertigt. Meyer weist aber darauf hin, dass die Urteile der Spruchkammerverfahren viel zu milde ausfielen, wie die Auswertung von Prozessen gegen Frauen des Internierungslagers Ludwigsburg 77 zeigt. Viele ehemalige SS-Helferinnen und NS-Frauenschaftsführerinnen wurden als „Mitläuferinnen“ oder als „vom Befreiungsgesetz nicht betroffen“ aus der Haft entlassen. Selbst Frauen, die als „Hauptschuldige“ einstuft wurden, weil sie als SS-Aufseherinnen Menschen misshandelt und gefoltert hatten, erreichten in späteren Berufungsverfahren ihre Rehabilitierung. Die Urteile der Spruchkammern sagten also wenig über die politische Belastung der Internierten aus und belegen daher auch nicht die Unrechtmäßigkeit der amerikanische Internierungspolitik, so eine der Hauptthesen der Arbeit. (Vgl. S. 242)

Die Auswertung der Spruchkammerverfahren verweist auf einen weiteren, noch interessanteren Aspekt, dass nämlich die Urteilsbegründungen in einem hohem Maße von geschlechterspezifischen Rollenzuschreibungen geprägt waren. Für Frauen, insbesondere für Mütter, galten höhere moralische Anforderungen, so dass ihnen Misshandlungen und Gewalttätigkeiten stärker angelastet wurden als Männern. Am konkreten Fall wird hier sichtbar, wie sich geschlechterspezifische Rollenbilder im Leben der Internierten auswirkten.

Kathrin Meyer hat sehr genau und kritisch bereits bekannte und bisher noch nie benutzte Quellenbestände bearbeitet und kann gängige Interpretationen und Thesen korrigieren. Mit ihrer Dissertation legt sie eine umfassende Untersuchung über die Internierungspolitik in der US-Zone vor, deren Hauptthesen sich auf Internierte, gleich welchen Geschlechts, beziehen. Einen Beitrag zur Geschichte der Entnazifizierung von Frauen zu leisten, ist nicht ihr eigentliches Ziel, insofern ist der Titel der Arbeit irreführend. Die frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektive ist in Meyers Studie lediglich eine Ergänzung, die jedoch interessante Aspekte hervorbringt. Daher ist es umso bedauerlicher, dass sie nicht konsequenter verfolgt wurde.

URN urn:nbn:de:0114-qn063159

Nicole Kramer M.A.

München

E-Mail: nicole.kramer@campus.lmu.de

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