Warum macht Fliegen glücklich?

Rezension von Gertrud Pfister

Carmen Eccard:

‚Ich bin erst glücklich, wenn ich fliegen kann!‘

Berufliche Orientierungen von Pilotinnen.

Königsstein/Ts.: Helmer 2004.

296 Seiten, ISBN 3–89741–139–3, € 24,95

Abstract: Berufliche Orientierungen von Pilotinnen weckt große Erwartungen, die leider nur teilweise eingelöst werden. Es ermöglicht Einsichten in die Berufsbiographien von Pilotinnen und in das „Gendering“ des Berufsfelds, gibt aber auf zentrale Fragen, u.a. nach den Barrieren, die Frauen den Weg an die Spitze versperren, keine befriedigenden Antworten. So bleibt auch offen, warum Fliegen glücklich macht.

Der Titel des Buches fiel mir sofort auf, er hat mich neugierig gemacht, nicht zuletzt, weil ich ähnliche Aussagen in meinen Recherchen über die Rolle der Frauen in der Fliegerei gefunden habe. Da der Schwerpunkt meiner Studien in den 1920er Jahren liegt, konnte ich die Pilotinnen leider nicht befragen, was sie denn so glücklich macht, wenn sie im Cockpit eines Flugzeugs sitzen. Ich war also sehr gespannt, als ich anfing, das Buch zu lesen, und ich hoffte, auf viele meiner Fragen eine Antwort zu finden.

Das von Carmen Eccard gewählte Thema ist aber nicht nur für Insider interessant oder für all diejenigen, die ebenfalls den Traum vom Fliegen träumen, sondern es bietet auch neue Zugänge zu Fragen zur Frauenerwerbstätigkeit und zur Segregation des Arbeitsmarktes. Außerdem bietet es sich als Forschungsfeld für Überlegungen zum „doing gender“ an und fordert zur Diskussion von Gender-Theorien auf.

Einleitend gibt die Autorin einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der Frauen in der Geschichte der Luftfahrt, bei der sie sich im Wesentlichen auf die bekannte Sekundärliteratur stützt. Trotzdem hat dieses Kapitel eine wichtige Funktion: Es macht deutlich, wie sich das Flugwesen fast 100 Jahre lang als Domäne der Männer entwickelte und wie schwierig es für Frauen bis in die 1990er Jahre war, Zugang selbst zu marginalen Bereichen der Luftfahrt zu erhalten oder besser: zu erzwingen.

Der Hauptteil des Buches wird mit Informationen über die methodische Anlage der Untersuchung eingeleitet, und ich habe beim Lesen der Ergebnisse immer wieder zu diesem Kapitel zurück geblättert, weil mir beispielsweise nicht klar wurde, woher die Zitate von Pilotinnen stammen. Lange Zeit vermutete ich, dass die Autorin Interviews mit Pilotinnen durchgeführt hat, doch laut Methodenkapitel hat sie nur Experten und Expertinnen interviewt und die Pilotinnen mittels eines Fragebogens befragt. Verwirrt hat mich auch das Kapitel „Sprache als empirisches Analysemedium sozialer Verhältnisse“, denn weder basiert die Untersuchung auf in Interviews wiedergegebener „erzählter Geschichte“ noch wird im weiteren Verlauf der Arbeit eine „Analyse sozialer Verhältnisse mittels sprachlicher Präsentationen“ vorgenommen. Insgesamt ist zu fragen, ob der Anspruch, Identitätskonzepte oder auch Selbstbilder, insgesamt die subjektive Ebene der Akteurinnen zu erfassen, mit Hilfe einer Fragebogenuntersuchung überhaupt eingelöst werden kann. Die Experteninterviews mit fünf Männern und zwei Frauen, einige von ihnen sind auch keine Piloten, können jedenfalls wenig zur Rekonstruktion der Erfahrungen von Pilotinnen beitragen. Sie boten anscheinend überwiegend Informationen über das Berufsfeld. Leider wurde der Fragebogen für die Pilotinnen nicht abgedruckt, so dass man sich über Zahl, Art und Formulierung der geschossenen und offenen Fragen kein Bild machen kann.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden mit Hilfe verschiedener theoretischer Ansätze interpretiert, die von Bourdieus Habitus-Konzept über Sozialisationstheorien bis hin zu Theorien der Genderhierarchien auf dem Arbeitsplatz reichen. Die Darstellung und Diskussion der theoretischen Überlegungen und der bereits vorliegenden Befunde zur Berufswahl, zur Berufszufriedenheit oder auch zum „Gendering“ des Pilotenberufs werden am Anfang jeden Kapitels relativ umfangreich referiert, wobei Überschneidungen und Wiederholungen die Aufmerksamkeit von den empirischen Ergebnissen tendenziell ablenken. Zudem basieren zahlreiche Interpretationen auf Thesen, die einer Verifizierung durch die Daten bedurft hätten. So ist beispielsweise die Vermutung, dass Frauen aus „Pilotenfamilien“ eher an ihrer Berufswahl zweifeln als die anderen Frauen des Samples, weil sie Einblick in die „männlich geprägte fliegerische Bewegungskultur“ hatten, nachvollziehbar, wenn auch nicht unbedingt die einzig mögliche Erklärung. Auch die Annahme, dass Pilotinnen nach der Ausbildung im Konkurrenzkampf mit den Männern „offensichtlich“ überdurchschnittlich häufig zu unterliegen „scheinen“, klingt vernünftig, aber es könnte doch auch sein, dass es auch junge Piloten bei ihrer ersten Anstellung nicht einfach haben.

Die Arbeit enthält zahlreiche interessante Ergebnisse, die teils Alltagstheorien bestätigen, teils auch neue Einsichten bieten. Die Entwicklung des Berufswunsches in der Kindheit und Adoleszenz, die durch häufige Umorientierung gegenzeichneten Berufswege einiger Pilotinnen, die schwierige Suche nach dem Arbeitsplatz, das „Steckenbleiben“ auf dem Weg zur Spitze sind Ergebnisse, die in ähnlicher Weise auch in Studien zu „Frauen in Männerberufen“ und/oder Frauen in Führungspositionen erzielt wurden. Typisch für Karriereberufe ist es auch, dass sie oft keine Teilzeitmöglichkeiten bieten. Vor allem auf der Basis der Experteninterviews gelingt es der Autorin, die vertikale und horizontale Segmentierung des Pilotenberufs herauszuarbeiten, wobei Dienstgrad, Fluggerät und Flugstrecke Position und Prestige im Berufsfeld definieren. Frauen befinden sich eher in marginalen Segmenten, d. h. sie arbeiten seltener als ihre Kollegen als Flugkapitän, fliegen auf kleineren Flugzeugen und eher Mittelstrecken. Karriereverläufe und Einsatzfelder der Pilotinnen re-produzieren so hierarchische Geschlechterarrangements in diesem Beruf.

Im Privatbereich fällt der hohe Anteil von Partnern im gleichen Berufsfeld auf. Nicht überrascht hat mich der hohe Anteil kinderloser Frauen. Überraschend war aber, dass die – wenigen – Pilotinnen mit Kindern Beruf und Familie offensichtlich gut vereinbaren können. Die zahlreichen Vermutungen der Autorin über die Ursachen des geringen Frauenanteils unter den Piloten und über die Barrieren, die Frauen den Weg an die Spitze versperren, ließen sich durch die Antworten der Pilotinnen auf die Frage, welche Rolle das Geschlecht in diesem Beruf spielt, nicht unbedingt erhärten. Wie in anderen Studien über „Karrierefrauen“ behauptete auch in dieser Untersuchung ein großer Teil der Frauen, dass das Geschlecht im Pilotenberuf nicht relevant sei oder sogar positive Einflüsse auf die Karriere habe. Nur etwa 40 % sind der Ansicht, dass Frauen weniger Chancen in diesem Beruf hätten als Männer. Sie beklagen vor allem die fehlende soziale Akzeptanz und die Vorurteile, mit denen sich Pilotinnen auseinandersetzen müssen.

Beim Lesen der Ergebnisse habe ich mich häufig bei der Frage ertappt, ob diese oder jene Aussage nicht auch für Männer zutreffend ist, und wie und wo die Unterschiede sind. Haben sie weniger Zweifel an ihrer Eignung fürs Fliegen als ihre Kolleginnen? Kommen sie ebenfalls zu einem relativ hohen Prozentsatz aus „Pilotenfamilien“? Sind sie zufriedener mit ihrem Beruf als die Pilotinnen (die sich übrigens durch eine hohe Berufszufriedenheit auszeichnen, selbst wenn sie mit Diskriminierungen konfrontiert waren).

Ein abschließendes Urteil fällt mir schwer – ein spannender Lesestoff, wenn man sich durch die jedes Kapitel einleitenden allzu langen Vorüberlegungen durchgequält hat; überraschende Ergebnisse, die aber häufig allzu viele weitere Fragen offen lassen; zahlreiche nachvollziehbare Interpretationen, aber auch Deutungen, die einer weiteren Verifizierung bedürften.

Obwohl oder vielleicht auch gerade weil mein Urteil ambivalent ist, lohnt es sich sicher, selbst einen Blick in das Buch zu werfen und zu einer eigenen Einschätzung zu kommen, und diese Empfehlung richtet sich nicht nur an Luftfahrinteressierte, sondern an alle, die sich mit Frauen in Männerberufen befassen.

URN urn:nbn:de:0114-qn062221

Prof. Dr. Gertrud Pfister

Institute for Exercise and Sport Sciences, University of Copenhagen

E-Mail: GPfister@ifi.ku.dk

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