Worin unterscheiden sich männliche und weibliche Karrieren im Vertrieb?

Rezension von Jutta Wergen

Christiane Funken:

Geld statt Macht?

Weibliche und männliche Karrieren im Vertrieb.

Frankfurt a.M., New York: Campus 2004.

184 Seiten, ISBN 3–593–37509–5, € 24,90

Abstract: Die empirische Untersuchung von Karrierewegen im Vertrieb zeigt auf, dass sich Unterschiede herausbilden, auch wenn Männer und Frauen Gleiches tun. Frauen im von Männern dominierten Organisationssegment „Vertrieb“ legen weniger Wert auf eine Karriere im Sinne einer hierarchisch hohen Position, sondern streben einen besseren Verdienst an.

Schnittstelle Vertrieb als Männerdomäne

Die empirische Untersuchung von Christiane Funken über die Karriereverläufe von Frauen und Männern im Vertrieb ist eine Untersuchung in neun Unternehmen, die Mitarbeiter/-innen im Außendienst auf mehreren Hierarchieebenen in den Blick nimmt. Neben einer quantitativen schriftlichen Befragung ergänzt eine qualitative Befragung per halbstandardisiertem Interview die Erhebung. Dabei standen einerseits die zurückgelegten Karrierewege von Vertriebsmitarbeiter/-innen und andererseits die Funktion des Vertriebs als Schnittstelle der Organisation im Zentrum der Befragung.

Die Bedeutung des Vertriebs als „Prototyp zukünftiger Berufsarbeit“ (S. 122) in einer sich verändernden, global werdenden Arbeitswelt steigt. Für den Vertrieb gelten aufgrund seiner Schnittstellenfunktion bzw. „lokale[n] Rationalität“ (S. 12) andere Strukturbedingungen als für den Rest der Organisation. Der Vertrieb kann, je nach Organisationsform, auf unterschiedlichen Hierarchieebenen angesiedelt sein (S. 35). Aussagen über die Stellung der Mitarbeiter/-innen im hierarchischen Gefüge der Organisation ergeben sich eher beim Gehaltsvergleich, der von einem im Vergleich zum Innendienst höheren Verdienst im Außendienst gekennzeichnet ist. Das bedeutet, dass der übliche hohe Grad der Formalisierung und Hierarchisierung in Organisationsstrukturen durch Erfolgsprämien und Provisionen ausgehebelt wird. Damit bietet der Vertrieb für die dort Beschäftigten andere bzw. mehr Handlungs- und Machtressourcen als für die Beschäftigten anderer Teilbereiche. Kontakte über mehrere Hierarchieebenen, z. B. zwischen Außendienstmitarbeiter/-innen und Unternehmensleitung bzw. Management kennzeichnen die Informations- und Kommunikationsstrukturen im Vertrieb.

Frauen arbeiten sehr viel seltener im Vertrieb als Männer, obwohl im Bereich der Kundenpflege jene „soft skills“ (S. 62) gefragt sind, die eher mit der Zuständigkeit von Frauen bzw. einem „weiblichen Arbeitsvermögen“ (Beck-Gernsheim/Ostner 1978) konnotiert sind (S. 62).

Zentrale Fragestellung der Studie ist die Analyse von Aufstiegspfaden und Handlungschancen von Frauen und Männern im Vertrieb. Einbezogen wurden behindernde und unterstützende strukturelle Bedingungen (S. 15) des beruflichen Umfeldes. Dazu wurden 96 Personen, (62 Männer und 34 Frauen), davon 49 Männer und 20 Frauen im Außendienst befragt.

Der Vertrieb als Teil einer Organisation wird dabei nicht unter dem Blickpunkt organisationssoziologischer Ansätze wie z. B. dem Bürokratiemodell von Max Weber, sondern mithilfe der Giddenschen Theorie der Strukturierung (Konzept der Dualität von Handlung und Struktur) untersucht. So lässt sich nach Meinung der Autorin eher eine Verbindung „von individuellen Handlungsmotiven, -interessen und -möglichkeiten“ (S. 13) mit bestehenden organisationalen Strukturen (ebd.) rekonstruieren.

Macht- oder Geldkarriere?

Die Analysen der erhobenen Daten betreffen Aussagen zu Karrierewegen, Strukturen und Schnittstellenfunktion des Vertriebs, Entlohnung nach Leistung, Kompetenzen und persönlichen Profilen sowie zum Kommunikationsverhalten (S. 63 ff.). Die Hauptaufgaben der Beschäftigten im Vertrieb bestehen nach den Erkenntnissen der Studie aus „administrativen Tätigkeiten im Innendienst“, der „Verkaufstätigkeit im Außendienst“ und der „Vermittlung zwischen Markt und Unternehmen“ (S. 65). Frauen werden deutlich öfter als ihre männlichen Kollegen in konfliktträchtigen Situationen eingesetzt (S. 96 f.).

Die Arbeit im Vertrieb kann ein „Karrieresprungbrett“ (S. 61) ins Management sein. Durch die Art der Karriere unterscheiden sich Männer und Frauen. Während Männer die Möglichkeit nutzen, aktiv eine klassische „Aufstiegskarriere“ anzustreben, bleiben Frauen in dieser Beziehung passiv und machen eine „Geldkarriere“ (S. 110). Diese ist mit Be- und Entlohnung bezüglich Provisionshöhe und Qualität der Arbeitsmittel, z. B. Auto oder Laptop (vgl. ebd.) verbunden. Im Gegensatz dazu ist die „Aufstiegskarriere“ der männlichen Kollegen mit „Entscheidungskompetenzen“ verbunden, wohingegen Frauen bei Beförderungen weniger berücksichtigt werden. Ursache für die unterschiedlichen Karrierewege sind die unterschiedliche Nutzung von „Kommunikations- und Informationskorridoren“ (S. 121) sowie die fehlende „Netzwerkintegration“ (S. 112) von Frauen. Männer nutzen Kontakte zu höheren Hierarchieebenen im Unternehmen weit häufiger als ihre Kolleginnen zur eigenen Positionierung im Management. Nicht nur der Adressat bzw. die Adressatin der Informationsweitergabe, auch die Art der Informationsweitergabe ist für die Karriere im Vertrieb entscheidend. Männer erreichen mit Gesprächen über die „Marktentwicklung“ (S. 111) das Management, während ihre Kolleginnen über den Innendienst eher eine „leistungs- und sachbezogene Informationspolitik“ (ebd.) betreiben.

Geld und Macht?

Fazit ist, dass Frauen und Männer die Strukturen des Vertriebs unterschiedlich und in altbekannter, geschlechtsspezifischer Weise zur mehr oder weniger strategischen Planung einer Karriere nutzen. Männer greifen, unterstützt durch Netzwerke, häufiger auf vorhandene Möglichkeiten der Information und Kommunikation zurück. Dabei ist sogar „die informelle Informationsvermittlung zur Positionierung“ (S. 111) für eine Karriere im Management des Unternehmens wichtiger als eine hohe Verkaufskompetenz. Der Grund dafür, dass Frauen eher „Verhandlungsmacht“ (S. 117) und Männer dagegen „Gestaltungsmacht“ anstreben, ist für die Autorin ein „professionelles Motiv der Moderne“ (ebd.). Den Frauen ist die Sichtbarkeit ihres Erfolges sicher, vom „Gestaltungswahn“ (S. 121) der Kollegen distanzieren sie sich.

Offen bleibt, ob die „Geldkarriere“ eine klassische Aufstiegskarriere ohne Macht-, Entscheidungs- und Führungskompetenzen ist, oder ob Männer zumindest auf langfristige Sicht diese „Geldkarriere“ plus Aufstieg im Management machen. Die Gründe, warum Frauen die durch den Vertrieb gebotenen Möglichkeiten nicht oder weniger als ihre männlichen Kollegen nutzen, sind nach den Erkenntnissen der Studie auf die ihnen fehlenden Netzwerke zurückzuführen.

Unter Einbezug weiterer Analyseebenen, z. B. Sozialisationsbedingungen, Bereiche der nicht entlohnten privaten (Haus- und Sorge-)Arbeit und partnerschaftlichen Arrangements könnten möglicherweise noch weitere Ursachen für die unterschiedlichen Karrierewege deutlich werden. Zusätzlich wäre die in der Studie vernachlässigte zeitliche Dimension interessant, bei der die Verweildauer von Frauen und Männern im Vertrieb und die Muster der Berufsbiografien von Außendienstmitarbeiter/-innen verfolgt werden könnten. Die Autorin bewertet die Arbeit von Frauen im Vertrieb als Chance, weil ihnen die Vertriebstätigkeit die Möglichkeit bietet, ökonomisch zu profitieren. Ein Aufstieg ins Management findet darüber hinaus allerdings nicht statt, und darum bleibt ein wenig undeutlich, ob und inwiefern die „Geldkarriere“ ein langfristiger Vorteil für Frauen ist.

In der Studie wird deutlich, dass das Augenmerk organisationssoziologischer Forschung auf die Entwicklung der „Schnittstelle Vertrieb“ im Hinblick auf sich verändernde Arbeitsbedingungen und Lebensformen erkenntnisreich ist. Dass Frauen an dieser Schnittstelle profitieren können, ist bewiesen – unter welchen Bedingungen sie ins Management aufsteigen können bzw. auch wollen, wird sich in Zukunft zeigen.

Mir fehlte in der Studie die ausreichende Rückbindung der empirischen Ergebnisse an die Theorie. Insbesondere die Theorie von Anthony Giddens über den Dualismus von Struktur und Handlung fand wenig Rückkopplung bei der theoretischen Diskussion der empirischen Ergebnisse. Wie sich Organisationsstrukturen auf das Handeln von Männern und Frauen im Vertrieb auswirken, wurde deutlich, aber die Diskussion darüber, ob und wie das Handeln der Akteure die Strukturen in der Organisation verändert, wäre wirklich spannend gewesen.

Insgesamt ist die empirische Untersuchung Geld statt Macht? Weibliche und männliche Karrieren im Vertrieb von Christiane Funken besonders lesenswert für diejenigen, die sich mit Arbeitsmarkt- und Geschlechterforschung in Organisationen beschäftigen. Die klare und verständliche Darstellung in dieser wissenschaftlichen Untersuchung macht das Lesen auch für Forschungsanfänger/-innen leicht.

URN urn:nbn:de:0114-qn062271

Dr. Jutta Wergen

Universität Dortmund, Hochschuldidaktisches Zentrum

E-Mail: jutta.wergen@uni-dortmund.de

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