Ein virtueller Besuch der Mahn-und Gedenkstätte Ravensbrück

Rezension von Johanna Muschelknautz

o.A.:

Homepage der Mahn-und Gedenkstätte Ravensbrück.

Homepage, http://www.ravensbrueck.de, Zugriff: 2000

Abstract: Seit März 2000 ist die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück im Internet präsent. Unter www.ravensbrueck.de finden sich mehrsprachige Informationen zum Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, zur Geschichte der Gedenkstätte von 1945 bis heute sowie zu den aktuellen Aktivitäten in Museumsarbeit, Forschung und Pädagogik. Besonders empfehlenswert ist ein virtueller Rundgang über das Gelände.

Auf den ersten Blick erscheint sie wenig einladend, die seit März 2000 bestehende und noch im Aufbau befindliche Internetpräsenz der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Doch hinter der sachlichen, etwas hausbackenen Aufmachung verbergen sich informative Sites mit gut lesbaren, konzisen Texten, schnell sich aufbauenden Grafiken und allen nötigen Servicehinweisen. Neben einer anschaulichen Besichtigungstour gibt es eine umfassende mehrsprachige Einführung in die Geschichte des Konzentrationslagers und (die Entwicklung) der Gedenkstätte seit 1945. Darüber hinaus kann man sich über die aktuellen Aufgaben und Perspektiven dieser Einrichtung in Forschung, Museumsarbeit und Pädagogik informieren.

Home – was finden wir vor?

Die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück versteht sich als Ort des Erinnerns und Gedenkens, des Sammelns und Bewahrens, des Forschens und Lernens und der Begegnung – dieses ambitionierte Aufgabenspektrum spiegelt sich auf der breit angelegten, vielleicht sogar etwas überfrachteten Ausgangsseite wieder. Zehn Menupunkte, jeweils mit Submenus, stehen zur Verfügung; vom Textfeld aus, das in die Abschnitte Infos, Aktuell und Details gegliedert ist, können die einzelnen Unterpunkte direkt angeklickt werden

Die „basics“ im Infoteil (über KZ und Gedenkstätte, feste Ausstellungen, pädagogische Begleitprogramme und Besichtigungen) werden erfreulicherweise auch in Englisch, Französisch, Italienisch und Polnisch angeboten, allerdings nur in Form längerer Textabschnitte zum Scrollen, nicht wie bei der deutschen Variante mit vertiefenden Links und Abbildungen. Einzig die englische Fassung ist weiter ausgebaut (mit virtueller Besichtigungstour, Links zu den Hauptaustellungen und pädagogischen Projekten), aber auch hier führt der Klick in den Bereichen news und details leider nur wieder auf die entsprechenden deutschen Seiten.

Klickvisiten

Um es gleich vorweg zu sagen: Wer sich unter dem Menupunkt Ausstellungen einen virtuellen Museumsbesuch erhofft, wird enttäuscht sein. Zwar hat die Gedenkstätte seit 1993 mit zwei neuen Hauptausstellungen und über 20 Sonderausstellungen eine beachtliche Bilanz vorzulegen, doch läßt die Online-Dokumentation hier gegenwärtig noch zu wünschen übrig. Für die Hauptausstellungen hat man sich auf ein paar Zeilen und wenige Fotos von Ausstellungswänden beschränkt – vielleicht in der unnötigen Sorge, eine weitergehende Präsentation würde den Besuch vor Ort überflüssig machen? Oder eher doch aus Gründen der Arbeitskapazität und des Budgets?

Spannender ist der Klick in die derzeitigen Sonderausstellungen, die inhaltlich besser erschlossen sind. Hier hat mich vor allem die Portraitinstallation „Frauenbilder“ auf dem früheren Appellplatz beeindruckt (noch bis 31. Oktober 2000). Schade nur, daß den großformatigen Farbfotos der ehemaligen Häftlinge keine Namen zugeordnet sind und nichts über die zehn ausgewählten Frauen zu erfahren ist. Ob es sich hier um ein Manko der Website handelt oder um eine bewußte Entscheidung der Ausstellungsmacherinnen, konnte ich nicht erkennen. Anregend und zu einem Vor-Ort-Besuch einladend scheint mir die Portraitinstallation in jedem Fall

Für weniger geglückt halte ich die Impressionen zum 50. Jahrestag der Befreiung. Eine Reihe unkommentierter Farbfotos zum Größerklicken gibt es da zu sehen, aber ohne kontextuelle Erklärungen oder eine gezielte ästhetische Aufbereitung bleiben die Aufnahmen seltsam anonym und bedeutungslos: viele alte Frauen eben, an einem unwirtlichen Ort im April 1995. Die Hauptattraktion der Website – und als Einstieg meiner Meinung nach sehr empfehlenswert – ist der virtuelle Rundgang über die Gedenkstätte. Anhand eines detaillierten Geländeplans mit 21 Standortnummern läßt sich das Areal am Bildschirm erkunden, von der ehemaligen SS-Kommandatur über den ehemaligen Zellenbau bis zu jenen Gebäudeteilen, die derzeit noch nicht für (reale) Besucher zugänglich sind. Kurze Erläuterungen zu den jeweiligen Standorten und aussagekräftige Fotos vermitteln tatsächlich einen Eindruck von Lage, Ausmaß und Funktion des Konzentrationslagers, in dem zwischen 1939 und 1945 über 130.000 Frauen und Kinder, aber auch 20.000 Männer aus 40 verschiedenen Nationen inhaftiert waren.

Von thematischen Führungen und Filmen über Projekttage bis zu internationalen Workcamps reicht das pädagogische Angebot der Gedenkstätte. Lehrerinnen und Lehrer werden das dankbar zur Kenntnis nehmen und eventuell die zur Verfügung gestellten Arbeitsmaterialien herunterladen – leider ein langwieriges Unternehmen. Jugendliche allerdings dürften sich nach der virtuellen Besichtigungstour kaum länger auf den Seiten aufhalten, dazu sind sie insgesamt zu textlastig und optisch einfach nicht attraktiv genug. Hier bliebe zu überlegen, ob mit Blick auf diese gerade für den Online-Bereich relevante Zielgruppe nicht doch eine grafische Überarbeitung angebracht wäre, oder zumindest eine etwas animiertere und animierendere Ergänzung, die auch junge Leute ohne fachspezifische Neigung anspricht.

Für Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und andere professionell Interessierte hält die Website unter den Punkten Sammlung und Forschung einige hilfreiche Informationen (zur Recherche) parat. Das Profil des Archivs und weiterer Sammlungsbereiche wie Bibliothek, Mediathek, Fotothek und Depot wird kurz skizziert, so daß man einen ersten Überblick über die Bestände gewinnt, die, wie wir erfahren, zum großen Teil noch nicht erschlossen und digitalisiert sind. Seit 1993 wird der Sammlungsbereich gezielt als Informations- und Dokumentationsstelle zur NS- und Geschlechterforschung ausgebaut – bleibt zu hoffen, daß die Quellen und Dokumente in naher Zukunft auch tatsächlich zugänglich und benutzbar sein werden.

Eine allgemeine Einführung in die Forschungssituation (mit Hinweisen zur Quellenlage, Schwerpunkten und Kooperationspartnern) ist im Menubereich Forschung abrufbar. Daneben gibt es eine Liste laufender bzw. kürzlich abgeschlossener Forschungsprojekte sowie eine Auswahlbibliographie mit nützlichen Links zu einschlägigen Datenbanken bzw. Adressen. Warum die Bibliographie nur deutschsprachige Titel aufführt, bleibt allerdings offen. Und noch ein Einwand: gerade an dieser Stelle halte ich eine sehr viel weitergehende Vernetzung für wünschenswert; mehr externe Links und ein direkterer Zugriff darauf würden den Gebrauchswert der Seiten wesentlich erhöhen

Fazit

Insgesamt stellt www.ravensbrueck.de – trotz einiger Mängel – schon jetzt ein beeindruckendes Zeugnis der vielfältigen Aktivitäten der Mahn- und Gedenkstätte und ihrer akribisch-gewissenhaften Präsentation dar, zumal die Website gut gepflegt ist und regelmäßig aktualisiert wird. Dennoch konnte ich mich mit der Zeit eines gewissen grundsätzlichen Unbehagens nicht erwehren. Denn hinter all diesen historischen und aktuellen Informationen bleibt eine große Leerstelle: die Frauen, um die es doch in erster Linie gehen sollte, kommen nur als abstrakte Größe vor, sie bleiben ohne Gesicht, ohne Stimme, ohne individuelle Geschichte. Zwar widmet sich eine der beiden Hauptausstellungen in der ehemaligen SS-Kommandatur den „Ravensbrückerinnen“ und stellt die Lebensgeschichten von siebenundzwanzig Frauen exemplarisch vor. Doch im Netz ist außer dem Foto einer Ausstellungswand davon nichts sichtbar. Ich hätte mir gewünscht, zumindest einigen dieser Frauen hier zu begegnen, am konkreten Beispiel mehr über ihre Herkunft, den Lageralltag, ihr Leben nach der Befreiung zu erfahren (mit Fotos, Texten, Tönen).

URN urn:nbn:de:0114-qn012154

Johanna Muschelknautz

E-Mail: J.Muschelknautz@t-online.de

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