Aushandeln von Unehelichkeit im 20. Jahrhundert

Rezension von Ellinor Forster

Sybille Buske:

Fräulein Mutter und ihr Bastard.

Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970.

Göttingen: Wallstein 2004.

400 Seiten, ISBN 3–89244–750–0, € 40,00

Abstract: Über 70 Jahre hinweg bestimmten die familienrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die Lebensverhältnisse nichtehelicher Kinder sowie deren Mütter und Väter. Der Blick auf die Versuche, Gesetzesänderungen durchzusetzen, zeigt die Schwierigkeiten der einzelnen Gesellschaftsgruppen in der Auseinandersetzung mit dem Thema der Unehelichkeit.

Bei dieser Abhandlung handelt es sich um die an der Universität Freiburg verfasste Dissertation der Autorin. Sybille Buske rollt darin die Geschichte der Unehelichkeit von der bürgerlichen Gesellschaft der Jahrhundertwende, über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit bis 1970 auf.

In der Sozial- und Familiengeschichtsschreibung wurde das Thema Illegitimität in den letzten Jahren unter Berücksichtigung verschiedener geografischer Räume und unterschiedlicher Zeitepochen behandelt – für das 20. Jahrhundert hat eine solche Untersuchung in der Tat noch gefehlt.

Die Entwicklung des Familien- und Unehelichengesetzes bildet den roten Faden in Sybille Buskes Studie. Ausgehend von einzelnen Gesetzesvorschriften werden die sozialen Auswirkungen der Unehelichkeit betrachtet – nicht nur bei den Müttern unehelicher Kinder, sondern auch bei betroffenen Kindern und deren Vätern. Die Perspektive der Kinder und Väter wurde bisher häufig ausgeklammert.

Ambivalenz der bürgerlichen Frauenbewegung

Mit Entstehen der bürgerlichen Frauenbewegung wurde auch der Kampf für bessere Rechte der unehelichen Kinder und ledigen Mütter aufgenommen. Bei ihrem Vergleich der Anschauungen des radikalen und des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung stellt Buske fest, dass auf der einen Seite der Anspruch von Frauen auf sexuellen Genuss vertreten, auf der anderen die Ehe als alleinige Norm erbittert verteidigt wurde.

Beide Flügel forderten eine bessere Rechtsstellung der unverheirateten Mütter sowohl in Bezug auf eine Ausweitung der väterlichen Unterhaltspflicht als auch im Hinblick auf das Erbrecht, eine Mutterschaftsversicherung und die Gründung von Mütterheimen bzw. -beratungsstellen. An einer klaren Abgrenzung zwischen sich und den „Sittenbrecherinnen“ (S. 73) hielten sie jedoch strikt fest.

Kriege als Katalysatoren?

Während des Ersten Weltkriegs wurden ledige Mütter und ihre Kinder vor dem Hintergrund von wehr- und bevölkerungspolitischen Maßnahmen erstmals in gewisse soziale Leistungssysteme integriert. Durch die militärische Niederlage Deutschlands und den politischen Umbruch zu einer demokratisch verfassten Republik ergab sich für die deutsche Gesellschaft ein erhebliches Veränderungs- und Konfliktpotential. In der Weimarer Verfassung wurden Ehe und Familie als grundsätzlich geschützte Bereiche verankert – mit dem Auftrag, unehelichen Kindern Chancengleichheit einzuräumen. Zunächst führte dies zu spürbaren positiven Auswirkungen auf uneheliche Kinder, durch die Wirtschaftskrise und die Krise der Sozialpolitik Ende der 1920er Jahre kam es jedoch zu einem Massenelend, das wiederum die vaterlosen Familien am härtesten traf. Der Nationalsozialismus verbesserte die Situation von ledigen Müttern und unehelichen Kindern wesentlich – jedoch nur, soweit dies den rassistischen und erbbiologischen Zielsetzungen des Regimes nützlich war (vgl. S. 193).

„Mehrverkehrseinrede“ – „Dirneneinwand“

Auf ein von Vätern häufig gebrauchtes Mittel, sich der Unterhaltsleistung zu entziehen, weist die Autorin am Beispiel der „Mehrverkehrseinrede“ hin. Dafür genügte es, dass der Vater Zeugen dafür brachte, dass die Mutter in der Empfängniszeit mit verschiedenen Männern eine intime Beziehung eingegangen war. Die Mutter hatte hingegen keine Möglichkeit eines positiven Beweises der Vaterschaft. So konnte der Prozess gegen den eventuellen Vater zu einer moralischen Verurteilung der Mutter führen und die psychische und soziale Situation für sie und ihr Kind verschärfen.

Diese Regelung war seit der Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 umstritten, und ihre Abschaffung wurde immer wieder gefordert: von der Frauenbewegung, in Reformvorschlägen zum Unehelichenrecht während des Ersten Weltkriegs und in der Weimarer Republik, von den christlichen Kirchen nach 1945. Der hartnäckige Verbleib der Regelung im Gesetzestext lässt eine Geschichte gesellschaftlicher Widersprüche erkennbar werden.

Oberstes Ziel: Bewahrung der traditionellen Familie

Als Klippe, an der die Hoffnungen auf Änderungen im Unehelichenrecht unvermeidlich zerschellten, sieht Sybille Buske die geforderte Bewahrung der traditionellen Familie. Viele Vertreter traditioneller Institutionen befürchteten, dass die Auffassung von lediger Mutter und unehelichem Kind als Familie an den Grundfesten der traditionellen Familie rütteln und direkt in den Untergang führen könnte.

Erst zu Beginn der 1960er Jahre schien die Befürchtung, dass eine rechtliche und gesellschaftliche Besserstellung lediger Mütter und ihrer Kinder zu einer Gefährdung für die eheliche Familie führen könnte, in den Hintergrund zu treten. In den Regelungen des Familienrechtsänderungsgesetzes von 1961 waren zwar die traditionellen Ressentiments gegenüber unverheirateten Müttern noch spürbar, sie zielten aber doch auf deren Gleichstellung mit verwitweten und geschiedenen Müttern im Hinblick auf die elterliche Gewalt.

Von der „Sittlichkeitsdebatte“ zum Demokratiediskurs

In den öffentlichen Debatten der Jahrhundertwende sieht die Autorin ein Ventil, um dem Unbehagen an der Moderne Ausdruck zu verleihen. Dabei fungierte „Sittlichkeit“ als Ordnungsbegriff der bürgerlichen Gesellschaft. Die zunehmende Zuspitzung dieses Begriffes auf den Bereich der Sexualität ermöglichte die Projektion aller Laster der Moderne auf ledige Mütter und uneheliche Kinder: unkontrollierte Sexualität und Unsittlichkeit, Verwahrlosung und Kriminalität.

Eine Änderung dieser Debatte über Unehelichkeit deutete sich erst ab Mitte der 1960er Jahre an. Illegitimität wurde nach wie vor als moralisches Problem gesehen, aber nicht mehr der ledigen Mutter, sondern der Gesellschaft und dem Staat angelastet, die Verständnis und die notwendige Hilfe verweigerten. Unverheiratete Mütter galten zunehmend als Opfer.

Methodische Annäherung

Die Stärke des Buches liegt in der Analyse verschiedener Ebenen: Recht und Rechtspraxis, politische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, Alltagspraktiken und wissenschaftliche Deutungen. Die erwähnten Rechtsfälle dienen nur punktuell zur Illustrierung, sie können aber kaum etwas über Häufigkeiten und Tendenzen von Gerichtsurteilen aussagen. Die Festlegung des Beginns des Untersuchungszeitraums auf das Ende des 19. Jahrhunderts führt dazu, dass ein wenig die Tradition der Sichtweise von Unehelichkeit, die auf der Strafbarkeit illegitimer Mutterschaft in früheren Jahrhunderten beruht, außer Acht gelassen wird.

URN urn:nbn:de:0114-qn053129

Mag. Ellinor Forster

Forschungsassistentin Universität Innsbruck/Institut für Geschichte

E-Mail: ellinor.forster@uibk.ac.at

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