Vaterschaft nach der Scheidung – Die Perspektive der Väter

Rezension von Michael Matzner

Gerhard Amendt:

Scheidungsväter.

Bremen: Ikaru/Institut für Geschlechter- und Generationenforschung 2004.

240 Seiten, ISBN 3–88722–570–8, € 21,50

Abstract: Während man in Deutschland die Situation von allein erziehenden Müttern gut erforscht hat, wandte man sich den von ihren Kindern getrennt lebenden Vätern nur äußerst selten zu. Dies ist mehr als erstaunlich, wenn man sich die in die Millionen gehende Zahl betroffener Väter und Kinder vor Augen führt. Allein im Jahr 2000 wurden 95.000 Ehepaare mit minderjährigen Kindern (146.000) geschieden. Bei Gerhard Amendts empirischer Studie handelt es sich um die erste deutschsprachige, als Buch erschienene wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema „Scheidungsväter“. Amendt beantwortet aus der Perspektive der Väter folgende Fragen: Wie sprechen Väter über ihre Scheidung und wie gehen sie mit den Scheidungsfolgen um? Wie verbringen sie die Zeit mit ihren Kindern? Warum brechen manche von ihnen den Kontakt zu den Kindern ab? Der neue Zugang zum Thema Scheidung bzw. Trennung über die Person des Vaters war längst überfällig und bringt neue Perspektiven und Erkenntnisse in die wissenschaftliche Debatte.

Forschungsdesign

Amendt und seine Forschergruppe erforschten die subjektive Wahrheit von Scheidungsvätern. Ihnen ging es darum, „unvoreingenommen anzuhören, was Männer über ihre Probleme als Scheidungsväter zu berichten haben“ (S. 7). Gängige Klischees über Scheidungsväter wie „Sugardaddy“ oder „Freizeitvater“ sollten hinterfragt werden. Das Forschungsdesign umfasst quantitative und qualitative Elemente. Es wurden 3.600 Männer in Form von „Tiefeninterviews“ mündlich bzw. schriftlich mittels „detaillierter Fragebögen“ über das Internet befragt. Die Interviews wurden „textanalytisch“ bzw. statistisch ausgewertet, wobei die Untersuchungsgruppe keinen repräsentativen Charakter hat. Amendt konzentriert sich in seinem Buch – es ist in vier Kapitel gegliedert – auf die Darstellung, Analyse und Diskussion der erhobenen Daten.

Ergebnisse und Erkenntnisse

Amendt beschreibt und analysiert anhand von 14 Fallgeschichten, wie unterschiedlich Männer Scheidung bzw. Trennung und deren Folgen erleben und wie sie darauf reagieren. Die Fallbeispiele zeigen das komplexe Wirkungsgefüge der Akteure Vater, Mutter, Kinder, Familienangehörige, neue Partner und Partnerinnen, Anwälte, Richterinnen und Sozialarbeiterinnen auf. Die nach der Scheidung/Trennung praktizierte Väterlichkeit wird durch den Vater selbst sowie durch das Handeln der genannten Akteure bestimmt. Scheidungsväter sind zumeist weder rein passive Opfer der Rahmenbedingungen noch völlig unabhängige und selbstbestimmte Akteure, so dass diverse Praxen der Väterlichkeit entstehen können. Amendt identifizierte differente Formen des Arrangements der Lebensgestaltung, der Elternschaft, der Verarbeitung der Scheidungsfolgen sowie der Reaktion auf zum Teil aggressive oder rechtswidrige Handlungen von Expartnerinnen.

Eine Fallstudie zeigt auf, dass Vätern durchaus ein kompetenter Umgang mit Scheidung gelingen kann, und zwar selbst dann, wenn die Umstände für sie sehr würdelos sind – die Frau informierte ihren Mann über die beabsichtigte Scheidung per Fax. Der betroffene Vater wollte unbedingt die enge Beziehung zur Tochter, welche bei der Mutter lebte, erhalten, was diese zu verhindern suchte. Dies gelang dem Vater, indem er „sämtliche Räume, die seine Frau unbesetzt lässt“, ausfüllte (S. 24) – die Mutter war in dieser Phase sehr auf ihren Liebhaber fixiert. Eine gewisse Rücksichtnahme des Arbeitgebers, die Reflexion des Handelns mit einem Psychologen, gute ökonomische Bedingungen sowie ein zielstrebiges Vorgehen und „Scheidungsmanagement“ bewirkten die dauerhafte Verbesserung der rechtlichen Situation sowie der Vater-Kind-Beziehung.

Gleichwohl sind Väter sehr abhängig vom Handeln ihrer Exfrauen sowie den Entscheidungen der Familiengerichte. Amendt beschreibt sehr plastisch anhand mehrerer Fallbeispiele, wie engagierte Väter durch willkürliche, beschämende oder gar rechtswidrige Verhaltensweisen der Expartnerinnen, die bis zum unbegründeten Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs gehen können, vom liebenden Vater allmählich zum „Kämpfer“ „gemacht“ werden. Nicht selten nehmen dabei berufliche Scheidungsbegleiter eine unrühmliche Rolle ein. Manche Richterin oder Mitarbeiterin des Jugendamtes orientiert sich noch immer am Primat der Mutterschaft. Obwohl eine aktive Vaterschaft innerhalb der Familie eingefordert wird, müssen engagierte Väter nach einer Scheidung mitunter eher mit Widerstand als mit Anerkennung rechnen. Manchen Vätern wird monatelang der Umgang mit den Kindern durch die Mutter verweigert, andere dürfen ihre Kinder nur in Anwesenheit Dritter sehen, selbst der angeordnete Telefonkontakt wird „betreut“ – also abgehört! Rechtswidriges Verhalten von Müttern wird nur selten unmittelbar durch Gerichte unterbunden. Da ist es nicht verwunderlich, dass gerade sensible und liebevolle Väter, die schon vor der Scheidung sehr engagiert waren, irgendwann den Kampf aufgeben. So sagt ein Vater: „Wenn ich das weiterhin mitmache, fürchte ich, dass ich abdrehen werde.“ (S. 62)

Der auch in anderen Studien (Proksch, Roland [2002]: Rechtstatsächliche Untersuchung zur Reform des Kindschaftsrechts. Köln) nachgewiesene regelmäßig unerwünschte Abbruch des Kontaktes zwischen Vätern und Kindern wurde bestätigt. Scheidungsväter haben häufig deswegen keinen oder nur geringen Kontakt zum Kind, weil ihnen ihre Exfrau dies erschwert. Ebenfalls bestätigt wurden Prokschs Erkenntnisse, wonach ein gemeinsames Sorgerecht die Vater-Kind-Beziehungen erheblich fördert. Manche Väter kämpften nicht lange auf der juristischen Ebene, sondern sie konzentrierten sich auf den Erhalt der Vater-Kind-Beziehung unter den gegebenen Bedingungen. Dies gelang längst nicht allen, zumal dann nicht, wenn die Mutter nicht kooperativ war. Dann wurden manche Väter ungewünscht destruktiv oder handelten inkompetent zum Nachteil aller Beteiligten. Beispielsweise überließ ein Vater seiner fünfjährigen Tochter die Entscheidung hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Vater-Kind-Beziehung – eine Bürde, welche das Kind gar nicht tragen konnte. Die Untersuchungsgruppe umfasst nicht nur „Scheidungsväter“, sondern auch nichteheliche Väter. Deren Rechtlosigkeit fördert geradezu ihre Geringschätzung und Ausgrenzung durch Gerichte und Mütter. Aus entwicklungspsychologischer Perspektive verstößt dies eindeutig gegen das Wohl und die Interessen von Kindern und Vätern.

Amendts Studie zeigt, dass „viele“ der befragten Väter sich als reine Unterhaltszahler missbraucht fühlten und mit der Behandlung in Jugend- und Sozialämtern unzufrieden waren. 60% der Befragten hatten einen schlechten Gesundheitszustand. Bei Vätern aus Milieus mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung war der Anteil ohne Kontakt zum Kind am höchsten. Hinsichtlich des Selbstkonzeptes und der Praxis der Väterlichkeit ließen sich mehrere Gruppen von Vätern unterscheiden. Manche Männer entdeckten sich als engagierte und selbstbestimmte Väter im Alltag neu, während andere einsam und unsicher wurden, sich stark auf ihre Herkunftsfamilie stützten oder tatsächlich zu „Freizeitvätern“ wurden bzw. den Kontakt ganz verloren. Damit muss man sich von der „Vorstellung eines ‘typisch männlichen‘ Verhaltens in Scheidungen und beim Gestalten der Beziehung zu den Kindern“ verabschieden (S. 166).

Fazit

Bedauerlicherweise wurden das Forschungsdesign sowie die Ergebnisse und Erkenntnisse nicht in existierende Wissensbestände aus der Scheidungs- und Familienforschung eingebettet. Entsprechend schien offenbar ein Literaturverzeichnis überflüssig. Gleichwohl zeichnet sich die Studie durch eine hohe Differenziertheit, Selbstreflexion und subtile Analyse des Handelns der Beteiligten aus. Die „kritische Solidarität“ (S. 13) des Autors mit den Scheidungsvätern vermag es, deren Handeln im sozialwissenschaftlichen Sinne zu verstehen. Damit ist es im deutschsprachigen Raum zum ersten Mal gelungen, einen sozialwissenschaftlich reflektierten Einblick in die Lebenslagen derjenigen Scheidungsväter zu bekommen, die mit ihrem Leben als Vater unzufrieden sind. Insofern ist es wünschenswert, dass das ansprechend gestaltete Buch eine große Leserschaft gewinnt.

URN urn:nbn:de:0114-qn053187

Dr. Michael Matzner

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