Vermittlung eines soliden Grundwissens

Rezension von Anja Wehler-Schöck

Ellen Krause:

Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung.

Herausgegeben vom Arbeitskreis „Politik und Geschlecht“ der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft e.V. (DVPW), Reihe „Politik und Geschlecht“, Band 11.

Opladen: Leske + Budrich 2003.

381 Seiten, ISBN 3–8100–3541–6, € 29,90

Abstract: Ellen Krause legt eine umfassende und zugängliche Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung vor. Sie beabsichtigt damit, eine von ihr konstatierte Lücke in der deutschsprachigen Literatur zu diesem Thema zu schließen. Darauf bedacht, wissenschaftliche Konzepte in Bezug zur Praxis zu stellen, beweist die Autorin viel didaktisches Geschick. Theoretische Ausführungen werden durch Übungen, Denkanstöße und praktische Tipps ergänzt.

Grundbegriffe der Frauen- und Geschlechterforschung

Die Autorin widmet sich zunächst ausführlich der Klärung einschlägiger Begrifflichkeiten wie Feminismus, Sex und Gender, bevor sie politische Strömungen sowie theoretische Ansätze in der Frauen- und Geschlechterforschung skizziert. Die historische Entwicklung und theoretische Ausdifferenzierung der einzelnen Ansätze und Konzepte sind dabei sehr gut nachvollziehbar. Das zweite Kapitel greift die für die feministische Politikwissenschaft zentrale Debatte über Konzepte des Privaten und des Öffentlichen auf. Im Mittelpunkt stehen hier sowohl klassische Konzeptionen von Öffentlichkeit und diesbezügliche feministische Kritik als auch neuere Ansätze.

Die Klassikerinnen der feministischen Theorie

Dominiert wird dieses Kapitel, in dem Krause fünf Autorinnen und ihre Hauptwerke vorstellt, von den US-Amerikanerinnen. Carole Pateman, Jean Bethke Elshtain, Nancy Fraser und Judith Butler müssen zweifellos in einer Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung Berücksichtigung finden. Da es das Anliegen der Autorin ist, sich mit ihrer Einführung gezielt an eine deutschsprachige Leserschaft zu wenden, darf eine deutschsprachige Autorin natürlich nicht fehlen. Eine „Klassikerin“ wie bei den US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen drängt sich jedoch nicht auf. Hieran zeigt sich ein weiteres Mal, dass die Geschlechterforschung in Deutschland im Vergleich zu den USA noch stiefmütterlich behandelt wird. Krauses Wahl fällt auf Eva Kreisky, deren Theorem des männerbündischen Staats für die deutschsprachige Debatte sicherlich nicht unbedeutend war.

Die Erläuterungen zu Carole Pateman konzentrieren sich auf deren Vertragsanalyse, d. h. die Unterscheidung zwischen einem Gesellschaftsvertrag und einem Geschlechtervertrag, der die Herrschaft der Männer über die Frauen sichert. Jean Bethke Elshtains Zugang zu den für sie zentralen Themen der Staatsbürgerschaft und der Geschlechteridentitäten wird der Leserin, dem Leser anhand der Ausführungen Elshtains zum Krieg sowie zur Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre erschlossen. Im Kapitel zu Nancy Fraser legt die Autorin den Schwerpunkt auf die Konzepte von Öffentlichkeit und von Gerechtigkeit im Wohlfahrtsstaat. Die Ausführungen zu Judith Butler kreisen um vier ihrer Hauptthesen, darunter die Hinterfragung der Trennung von sex und gender sowie die Zurückweisung des Identitätsbegriffs. Jedem der Beiträge zu den verschiedenen Autorinnen folgt ein Abschnitt, der sich mit der Kritik am vorgestellten Ansatz auseinandersetzt.

Der Beitrag der Geschlechterforschung zu den politikwissenschaftlichen Teildisziplinen

Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen vier Bereiche der Politikwissenschaft: politische Ideengeschichte, feministische Demokratietheorie, Staatsanalysen und Internationale Beziehungen. Der erste Abschnitt beinhaltet eine Zusammenstellung feministischer Kritik an Klassikern der politischen Ideengeschichte von Platon bis Marx. Nur sehr flüchtig geht Krause auf die bis heute weitgehend vernachlässigten weiblichen Beiträge zur Ideengeschichte ein, beispielsweise von Christine de Pizan und Marie de Gournay. Zum Thema feministische Demokratietheorie skizziert und kommentiert die Autorin exemplarisch die Ansätze von Barbara Holland-Cunz, Anne Phillipps und Beate Hoecker. Ausgehend von der herkömmlichen Ablehnung des Staates als Unterdrückungsapparat erläutert der darauf folgende Abschnitt die Entwicklung feministischer Theorie hin zu neueren geschlechtskategorialen Analysen des Staates: Grundannahme ist nun die Möglichkeit einer Beseitigung von Diskriminierungen durch den Staat. Unter anderem findet hier Robert Connells Konzept des „gender regimes“ Berücksichtigung. Den Abschluss des Kapitels bilden feministische Ansätze in den Theorien der Internationalen Beziehungen, die vor allem in Deutschland eine sehr junge Fachrichtung darstellen. Dabei geht es sowohl um die Entdeckung von Frauen als Akteurinnen, um die Wahrnehmung neuer Themenkomplexe wie Sextourismus oder Massenvergewaltigungen als auch um die Verknüpfung von Ansätzen der Internationalen Beziehungen mit Konzepten der Geschlechterforschung.

Aktuelle politikwissenschaftliche Debatten

Mit Globalisierung, Body Politics und Gender Mainstreaming greift die Autorin drei Themen auf, die in den letzten Jahren in aller Munde sind, Begriffe, die jedoch häufig als bloße Schlagworte benutzt werden. Beim Thema der Globalisierung geht Krause einer Reihe von Fragen nach, beispielsweise „Welche Umwertungen von privat und öffentlich finden statt?“, „Auf welche Weise wird die Geschlechterordnung restrukturiert?“ oder: „Sind Frauen nur Opfer der Globalisierung?“ Zur Beantwortung zieht sie die Ansätze verschiedener Autor/-innen heran, unter anderem das Konzept der Global Cities von Saskia Sassen und die These der Rekonfigurierung der Geschlechterordnung im Globalisierungsdiskurs von Charlotte Hooper. Zum Thema Body Politics erläutert Krause die verschiedenen Aspekte politischer Einflussnahme auf den Körper, wie Prostitutionsgesetzgebung oder Gen- und Reproduktionstechnik, und stellt verschiedene feministische Reaktionen auf die heftigen Kontroversen in diesem Bereich dar. Am Ende dieses Kapitels steht das Gender Mainstreaming, das seit den 90er Jahren zum Modephänomen avanciert, aber auch zur Worthülse verkommen ist. Vor dem Hintergrund der einzelnen Komponenten des Konzepts erläutert Krause zentrale Kritikpunkte sowie praktische Erfahrungen.

Didaktischer Ansatz

Ellen Krauses Einführung empfiehlt sich vor allem aufgrund der didaktischen Aufbereitung des Materials. Jedem Kapitel folgt eine knappe Zusammenfassung, die die vorangehenden Erläuterungen kritisch beleuchtet und noch zu klärende Punkte hervorhebt. Auf Stellen, an denen die Autorin Missverständnisse und Verwirrung antizipiert, folgen von mit „!!!Achtung“ betitelte Kurzabschnitte, die Problematisches noch einmal genauer erklären. So wird unter anderem im Rahmen der Ausführungen zur postmodernen/ poststrukturalistischen Debatte der ethnomethodologische Sozialkonstruktivismus noch einmal deutlich vom diskurstheoretisch begründeten Dekonstruktivismus abgegrenzt. Schemata und Schaubilder, beispielsweise eine Gegenüberstellung der Thesen von Regine Gildemeister und Judith Butler, tragen zur verbesserten Verständlichkeit komplexer Sachzusammenhänge bei. Die Autorin ergänzt ihre Ausführungen stets durch englisch- und deutschsprachige Auszüge aus der Originalliteratur.

Durchgängig wird die Leserin, der Leser auf weiterführende Literatur und Gegenmeinungen hingewiesen. Regelmäßige Querverweise innerhalb des Buches erleichtern zudem die gezielte Lektüre zu bestimmten Themen und ermöglichen, übergreifende Zusammenhänge zu erkennen. Übungen und Fragen, die sich an jedes Kapitel anschließen, sollen dazu anregen, das Gelesene zu wiederholen und zu reflektieren. Nach dem Kapitel zu Nancy Fraser wird beispielsweise dazu aufgefordert, die Unterscheidung zwischen affirmativen Strategien der Anerkennung und transformativen Strategien der Umverteilung auf die Praxis anzuwenden: Aktionen und Programme des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bereich der Gleichstellung sollen in dieses Muster eingeordnet werden und ihre Erfolgschancen prognostiziert werden.

Der Anhang des Buches umfasst ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis sowie einen detaillierten Serviceteil. Letzterer liefert einen systematischen Überblick über einschlägige Lehr- und Forschungseinrichtungen, Netzwerke und Datenbanken. Die einzelnen Einträge sind sehr informativ erläutert und mit Internetadressen versehen. Eine weitere Übersicht vermittelt einen Überblick über die verschiedenen Studienmöglichkeiten in den Bereichen Geschlechterforschung und Gender Studies in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Fazit

Die vorliegende Einführung ist verständlich und leserlich geschrieben und erfüllt in jeder Hinsicht ihren Anspruch. Die Autorin versteht es, komplexe Zusammenhänge didaktisch zu reduzieren und zu erklären. Das Buch bleibt jedoch anspruchsvoll. Deswegen ist der Autorin darin beizupflichten, dass gewisse politikwissenschaftliche Grundkenntnisse für eine gewinnbringende Lektüre Voraussetzung sind. Das Buch ist sehr übersichtlich und schlüssig gegliedert sowie mit einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis ausgestattet. Bei einer derartigen Publikation bietet sich jedoch die Ergänzung durch ein alphabetisches Sach- und Personenregister an, da auf diese Weise das Nachschlagen nach gezielten Fragen erleichtert würde.

Die Ausrichtung des Buches auf deutsche und amerikanische Ansätze ist nachvollziehbar, an einigen Stellen jedoch bedauerlich. Der Anspruch, eine Einführung speziell für den deutschsprachigen Raum zu verfassen, sowie die zentrale Bedeutung der amerikanischen Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet führten selbstverständlich zu deren stärkerer Berücksichtigung. Krause weist auch darauf hin, dass eine Einführung zwangsläufig selektiv sein und gewisse Aspekte vernachlässigen müsse. Die Tatsache, dass Ansätze asiatischer oder afrikanischer Autorinnen, wie etwa der Womanism, gänzlich außen vor bleiben, könnte jedoch bei der Leserschaft den Eindruck erwecken, dass außerhalb des westlichen Kulturraumes keinerlei Frauen- und Geschlechterforschung betrieben werde.

URN urn:nbn:de:0114-qn052236

Anja Wehler-Schöck

Otto-Suhr-Institut, Freie Universität Berlin

E-Mail: anja.schoeck@berlin.de

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