Wer hat Recht?

Rezension von Swantje Lichtenstein

Elisabeth Holzleithner:

Recht Macht Geschlecht.

Legal Gender Studies.

Wien: WUV Universitätsverlag 2002.

171 Seiten, ISBN 3–85114–699–9, € 18,80

Abstract: Der Zusammenhang zwischen sexueller Differenz und deren juristischen Folgen wird in der Wiener Studie näher beleuchtet. Auch wenn die Zeiten der offenen Diskriminierung vorüber zu sein scheinen, die Ungleichheit vor dem Recht bleibt bestehen. Noch immer liegen die Verdienste von Frauen deutlich unter denen von Männern, immer noch wird – auch gesetzlich – der Bereich des Privaten als genuin weiblicher verstanden, die Öffentlichkeit dagegen ist männlich. Hier setzen die Fragen zur gerechten Machtverteilung an, die der Band behandelt. Die Interdependenz von gesellschaftlicher Veränderung und rechtlichem Wandel wird von Elisabeth Holzleithner anhand verschiedener Diskurse vorgeführt.

Weibliche Gerechtigkeit

In einem demokratischen Rechtsstaat ist davon auszugehen, dass, was Recht ist, gerecht und legitim ist. Und zwar für alle Bürgerinnen und Bürger eines Staates. Genau an dieser Stelle setzt die Prüfung des Rechtsdiskurses durch die Legal Gender Studies an. Recht wurde von Vertreterinnen des Feminismus zunächst als „wenig verlässlicher Verbündeter“ (S. 23) wahrgenommen, da er dem konservativen, traditionalen Machtdiskurs zugeordnet wurde. Holzleithner beginnt ihre Einführung in diese Thematik mit einem Abriss der Entwicklungen der Legal Gender Studies. Das Recht ist ein Herrschaftsdiskurs, das heißt, das Recht eines Herrschaftssystems ist für all jene bindend, die sich in diesem Herrschaftssystem aufhalten. Der Rechtsdiskurs ist allgemeingültig und gibt für alle Personen und Gemeinschaften einer Gesellschaft bestimmte „hegemoniale Bedeutungen“ (S. 15) vor, die aber für verschiedene Teilsysteme der Gesellschaft nicht zwangsläufig die gleiche Dominanz haben, und der spezifischen Eigenlogik der einzelnen Teilsysteme unterworfen sind und ihr nachfolgen. Sie werden durch diese auf unterschiedliche Weise angewendet. Der Kernbereich, also die Rechtsnormen, nehmen Legitimität für sich in Anspruch. Aus diesem Grund erhält der rechtliche Diskurs eine Zusatzfunktion im Staat als Gradmesser für das, was gesellschaftlich als legitim erachtet wird.

Diskurse des Rechts

Bei der Unterscheidung von Individuen im Rechtsdiskurs nach geschlechtlichen Kriterien steht im Rechtsdiskurs der Name als gesellschaftliches Konstrukt im Vordergrund. Hier wird vom Recht eine eindeutige Übereinstimmung des biologischen und des kulturellen Geschlechts durch die namentliche Erkennbarkeit fest zugeschrieben. Das Recht setzt nach Holzleithner so eine „Kongruenz von biologischem Geschlecht, kulturellem Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung als Norm“ (S. 21). Der feministischen Jurisprudenz ging es daher – so Holzleithner – zunächst darum, ein geschlechtsneutrales Rechtssystem zu erschaffen, was aber wiederum auch Frauen als geschlechtsneutrale Wesen auffasste. Die Vertreterinnen der Gleichheitsdoktrin erkannten nicht, dass es eine gesellschaftliche Norm gab, die die sexuelle Differenz bzw. Gleichheit befand. Dadurch blieb das Männliche die Norm, von der Gleichheit und Differenz aus gesehen werden mussten. Aspekte des Rechtlichen, die im Kontext der Ungleichheit der Geschlechter bestanden, konnten nicht als Themen der Rechtsdogmatik behandelt werden. Eine Gegenbewegung entstand daher als Differenzfeminismus. Hierfür standen v. a. die Gedanken von Carol Gilligan (Die andere Stimme, München 1984.) Das Rechtssystem basiere, so Gilligan, auf einer männlich konnotierten Konzeption von Moralität und Rationalität. Frauen hingegen seien geprägt von einer Ethik der Fürsorge. In der Rechtswissenschaft führten Gilligans Thesen zu einer formalen wie inhaltlichen Infragestellung des Rechts. Die Problematik dieses Ansatzes besteht nach Holzleithner in der Zuschreibung von traditionellen Stereotypen, die Frauen von der Welt des Wettbewerbs und der Ökonomie separiert. Die letzte Variante, die Holzleithner diskutiert, ist Catharine MacKinnon (Sexual Harrassment of Working Women, New Haven/London 1979) als Vertreterin des Dominanzfeminismus unter dem Schlagwort „Gender is sexual“ (Mac Kinnon). McKinnon hat die sexuelle Belästigung als rechtlichen Begriff eingeführt und damit als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zur Sprache gebracht. Holzleithner begründet ihren eignen Auftrag an die Legal Gender Studies damit, dass die vom Diskurs Ausgeschlossenen aufgrund ihrer „Körper/praktiken und Lebensform“ (S. 42) einen Raum im Diskurs erhalten müssen, in dem ihr Subjektstatus und ihre Sichtweise ernst genommen wird.

Als Beispiele der rechtlichen Gleichstellungsdiskussion führt Holzleithner die Debatte um die Lohngleichheit, den Gleichheitsatz als allgemeines Sachlichkeitsgebot in Bezug auf die Geschlechter, die Familienrechtsreform in den 70er Jahren und das Gleichbehandlungsrecht auf. Exemplarisch vorgeführt wird dies für Österreich und die EU. Österreich und die EU befinden sich, was die Gleichbehandlungsrichtlinie angeht, dabei durchaus im Einklang. Zentrale Ziele sind die rechtlichen Bestimmungen gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und die Regelung des Elternkarenzurlaubs. Die Quotenregelung stellt eine umstrittene Sondermaßnahme dar, deren Nutzen nach Holzleithner problematisch bleibt. Die Feststellung einer Unterrepräsentation von Frauen unterstellt eine Diskriminierung, die aber auch das negative Image der Quotenregelung entstehen ließ, als gegen Männer gerichtet Maßnahme, die wiederum Frauen zu bevorzugen scheint.

Ein aktueller und effektiver Ansatz im feministischen Diskurs über das Recht steht unter dem Begriff des „Gender Mainstreaming“ (S. 85). Gegen die Diversifikation und die ausgeschlossenen sektorale Frauenpolitik soll eine Genderperspektive umfassender Bestandteil der Politik werden, also Teil des politischen Mainstreams. Die Genderperspektive kann dann auch integraler Bestandteil aller politischen Diskussionen werden, indem Unterschiede allgemeiner wie auch geschlechtlicher Natur als Bestandteil einer Gesellschaft oder politischen Gemeinschaft angesehen werden. Sie wird als ergänzendes Prinzip verstanden. Holzleithner gibt allerdings zu bedenken: „ob allerdings die politisch Verantwortlichen ihren Pflichten zum Gender Mainstreaming tatsächlich nachkommen, ist eine andere Frage.“ (S. 90)

Geschlechtskörper

Eine weitere Forderung der Legal Gender Studies gilt der sexuellen Autonomie. In der rechtlichen Festlegung bedeutet dies, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, ohne Zwang und Manipulation ihre eigene Sexualität zu erkunden und zu entfalten, unabhängig vom Geschlecht der Sexualpartner oder Sexualpartnerinnen. Für die Legal Gender Studies steht dabei das Strafrecht im Vordergrund. Die Kriminalisierung der Bedrohung von Angriffen gegen die sexuelle Autonomie zeige, dass eine Rechtsgemeinschaft die Autonomie des Einzelnen schützt und deren Bedrohung bestraft. Hierzu gehören Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und Pornographie. Holzleithner diskutiert verschiedene Beispiele aus der österreichischen Rechtssprechung zu dieser Thematik. Eine Unterkategorie bilden die Queer Studies, die sich mit geschlechtlichen Transformationen und sexuellen oder geschlechtlichen Minderheiten beschäftigen sowie mit den rechtlichen Regelungen bei Trans- und Intersexualität bzw. verschiedenen Geschlechtsidentitäten. Es zeigt sich bei der Gegenüberstellung, dass Performativität nicht nur für Sex und Gender angenommen werden kann, sondern ebenfalls für Sexualität und sexuelle Identität gültig ist. Dabei geht es nach Holzleithner v. a. darum, das mit der Differenz verbundene Machtgefälle zu analysieren und sichtbar zu machen. So können alle Geschlechtskörper kulturell und damit auch rechtlich anerkannt werden. Holzleithner betrachtet den Widerstand gegen geschlechtliche Normierungen auch als Widerstand gegen Diskriminierung. Durch die Entnaturalisierung werde der Begriff vom Geschlecht destabilisiert und schaffe Entlastung von der Tradition naturalisierter Geschlechtsnormen.

Holzleithners komprimierter Überblick über die wichtigsten Aspekte der Legal Gender Studies belegt durch eine Vielzahl von Beispielen aus Theorie und Praxis die Funktion und die Interdependenz des Rechts in europäischen Gesellschaften. Mit einer Betrachtungsweise, die das Rechts als Produzent und Dokument der kulturellen Sicht und Bedingtheit des Geschlechts versteht, zeigt Holzleithner viele Anknüpfungspunkte dieses interdisziplinären Forschungsfeldes auf.

URN urn:nbn:de:0114-qn052026

Dr. Swantje Lichtenstein

Köln

E-Mail: swali@gmx.de

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