Gute Absicht, schlechte Ausführung

Rezension von Andrea Rothe

Dave Grossman, Gloria DeGaetano:

Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht?

Ein Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen.

Stuttgart: Freies Geistesleben 2003.

194 Seiten, ISBN 3–7725–2225–4, € 14,50

Abstract: In Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht – Ein Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen führen die Autor/-innen Dave Grossman, Psychologieprofessor an der US-Militärakademie Westpoint, Militärhistoriker und Army-Ranger, und Gloria DeGaetano, Erziehungs- und Medienberaterin, aus, dass der Anstieg der Kriminalität und Gewalttätigkeit bei US-amerikanischen Kindern und Jugendlichen wesentlich auf die Zunahme von gewaltverherrlichenden Filmen, Videos sowie Computer- und Videospielen zurückzuführen sei. Die Verantwortung für diese Entwicklung wird nicht gesamtgesellschaftlich, sondern in erster Linie bei der Unterhaltungsindustrie gesehen. Ratschläge für Eltern, wie sie mit dem Medienkonsum ihrer Kinder im Allgemeinen und mit dem Konsum gewalthaltiger Medien im Besonderen umgehen sollen, nehmen ebenfalls einen großen Raum ein. Als Ergänzung findet sich im Anhang zur deutschen Ausgabe ein Aufsatz des Medienwissenschaftlers Werner Glogauer, eine Reportage von Barbara Supp sowie ein Nachwort von Bruno Sandkühler. Darüber hinaus werden Literaturhinweise, relevante Adressen und ein Register der im Buch erwähnten Filme, Videos und Computerspiele angeboten.

Themen des Buches

Das Buch ist, wie der Untertitel schon besagt, ein Aufruf. So nimmt es nicht wunder, dass die ersten Seiten mit zahlreichen Appellen gefüllt sind. Im Geleitwort ist es Uwe Bauermann von „Alliance for Children“, im Vorwort zur deutschen Ausgabe Grossman selbst, in der Einleitung sind es Bill Clinton sowie wiederum die Autor/-innen Grossman und DeGaetano, die die Gefahren durch den Konsum gewaltverherrlichender Medien beschwören um dann das vorgelegte Buch als „solide Grundlage“ für „Eltern, Erzieher, Sozialarbeiter, Jugendanwälte und alle, die am Wohlergehen unserer Kinder interessiert sind“, zu empfehlen (S. 22).

Die folgenden Ausführungen zu den möglichen negativen Folgen des Konsums von gewalthaltigen Medieninhalten greifen relativ ungeordnet immer wieder folgende Hauptthemen auf:

- Kinder- und Jugendkriminalität in den USA

- Verantwortung der Unterhaltungsindustrie

- Wissenschaftliche Ansätze zur Medienwirkungsforschung sowie

- Ratschläge für Eltern.

Kinder- und Jugendkriminalität

Die Autor/-innen weisen an verschiedenen Stellen darauf hin, dass die Zahl der Gewalttaten in den USA kontinuierlich ansteigt, und zitieren statistische Daten, die aber nur zum Teil aus Quellen wie Interpol, FBI oder dem Bureau of Census stammen. Sie benennen auch „die wichtigsten Faktoren, die zu Gewalt führen: Armut, institutioneller Rassismus, Kindesmisshandlung und Drogenmissbrauch.“ (S. 29) Allerdings wird der Ansatz, dass Gewalt als gesellschaftliches Problem behandelt werden müsste, nicht weiter verfolgt. Sicherer scheint den Autor/-innen, Verbrecher/-innen weg zu sperren und der Polizei ein möglichst hartes Durchgreifen zu erlauben. Allerdings stellen sie fest, dass die Kriminalität in den USA trotz Einsperr-Rekorden, neuer Gesetze und einer alternden Gesellschaft erschreckend schnell wächst, und führen aus, welchen Gefahren US-amerikanische Kinder statistisch ausgeliefert sind und wie viele Verbrechen von den Kindern und Jugendlichen selbst begangen werden. Der Umgang mit Statistiken ist in diesem Zusammenhang nicht nur ungenau, sondern z. T. wirklichkeitsverzerrend. So werden zwei Diagramme über die Verhaftungen von Mädchen und Jungen aufgrund von Gewaltverbrechen von 1965 bis 2000 pro 100.000 Einwohnern in den USA gezeigt. Die y-Achsen sind jedoch nicht skaliert, so dass kaum auffällt, dass es einen Unterschied von 20:3 zwischen Männern und Frauen gibt. Das heißt, dass die Jungen fast 2000 Verhaftungen pro 100.000 Einwohnern erreichen, während es bei den Mädchen nicht einmal 300 sind. Der eklatante geschlechtsspezifische Unterschied wird aber nicht thematisiert, und die ganze Statistik wird mit den Worten abgetan: „Eigentlich brauchen wir keine Diagramme, um zu erkennen: Kinder waren immer im gewissem Maße anfällig für aggressives Verhalten.“ (S. 32)

Auffallend ist auch, dass Grossman/DeGaetano vehement und an unterschiedlichen Stellen bestreiten, dass die leichte Zugänglichkeit zu Waffen in den USA mitverantwortlich sein könnte für den Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität (siehe u. a. S. 11, 34, 50), obwohl sie berichten, dass es z. B. in Richmond (Virginia) gelungen sei, durch strengere Verbote des Waffenbesitzes die Mordrate um 65 Prozent (!) zu senken (S. 30). In einem nur in der deutschen Ausgabe abgedruckten Aufsatz weist auch Werner Glogauer deutlich auf die negativen Folgen auf die Persönlichkeitsentwicklung bei gewalttätigen Jugendlichen hin, die durch die leichte Zugänglichkeit zu Waffen und den Waffenkult in den USA verursacht werden (S. 156–159). Dennoch reduzieren Grossman/DeGaetano die Ursachen für die steigende Kriminalität immer wieder auf einen Aspekt: „Wenn wir alle möglichen Faktoren und unzählige Erklärungen durchgehen, bleibt eine Sache übrig: das Fernsehen, die Kinofilme, Medien und Videospiele, mit denen unsere Kinder grenzenlos viel Zeit verbringen.“ (S. 34)

Verantwortung der Unterhaltungsindustrie

Nach Grossman und DeGaetano liegt die eigentlich Schuld für die steigende Kinder- und Jugendkriminalität bei der Unterhaltungsindustrie. Sie sei für das Vorhandensein von gewaltverherrlichenden Medieninhalten verantwortlich und damit letztlich auch für die zunehmende Gewalttätigkeit US-amerikanischer Kinder und Jugendlicher, sie verdiene an den Materialien zu viel und habe dadurch so viel Macht, so dass sie Gesetze verhindern könne, sich nicht an selbst in Auftrag gegebene Forschungsergebnisse halte und nur halbherzig Zensurmaßnahmen zum Jugendschutz durchsetze. Grossman/DeGaetano fordern daher strengere gesetzliche Regelungen für die Vermarktung von gewaltverherrlichenden Materialien, eine erhöhte Besteuerung und eine verschärfte Produkthaftung der Unterhaltungsindustrie.

In der Konsequenz müsse es als „komplette und totale Missachtung des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika betrachtet werden“ (S. 59), wenn die Unterhaltungsindustrie die Aufforderung von Organisationen missachte, in denen amerikanische Ärzte, Psychiater und Millionen von Eltern vertreten seien, und die Gewalt in den öffentlichen Sendungen nicht verringere, sondern sogar noch erhöhe. Und später gehen Grossman/DeGaetano so weit, ihre Leserinnen und Leser aufzufordern, nicht mehr auf den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung zu warten. Als Lösung gegen die zunehmende Gewalt bei Kindern und Jugendlichen empfehlen sie, die Unterhaltungsindustrie „finanziell oder auf irgendeine andere Weise in die Knie“ zu zwingen, „damit sie aufhört, unseren Kindern das Töten beizubringen.“ (S. 126) Im Widerspruch dazu heißt es an anderer Stelle, dass die Verantwortung bei den Eltern liege: „Erregung statt Entdeckung, Aufregung statt Aufmerksamkeit, Töten statt Studium – das bringen wir unseren Kindern bei.“ (S. 95)

Wissenschaftliche Ansätze zur Medienwirkungsforschung

Grossman/DeGaetano bemühen sich, die von ihnen befürchteten Folgen des Konsums von gewaltverherrlichenden Medieninhalte wissenschaftlich zu belegen. Leider greifen sie zu diesem Zweck häufig auf Behauptungen zurück, die sie nicht mit Quellen belegen (S. 37–38). Zum anderen interpretieren sie die sehr vorsichtigen Aussagen der Medienwirkungsforschung, die meist im Konjunktiv formuliert sind (siehe u.a. S. 41), wiederholt als bewiesene Tatsachen. In diesem Zusammenhang werden auch einige unseriöse Quellen zitiert, wie etwa Brendon Centerwall vom Center for Disease Control (S. 45), den u. a. die Medienwissenschaftler/-innen Michael Kunczik und Astrid Zipfel scharf kritisieren (Kunczik, Michael/Zipfel, Astrid: Medien und Gewalt. Institut d’Etudes Educatives et Sociales (IEES) Luxembourg, Projekt Media Use, 2002, S. 8.).

Als mögliche psychische Folgen des Konsums von gewaltverherrlichenden Medieninhalten beschreiben Grossman/DeGaetano zunehmende Aggressivität, Desensibilisierung gegenüber realer und virtueller Gewalt und das Entstehen von Angstgefühlen, wodurch die Menschen ihre Umwelt als gefährlicher wahrnähmen als sie in Wirklichkeit ist. Die Autor/-innen kommen zu dem Schluss, dass die US-amerikanischen Kinder und Jugendlichen alle drei Symptome aufweisen, wobei ungeklärt bleibt, ob sie gleichzeitig aggressiver, desensibilisierter und ängstlicher sind (S. 51). Die Wirkung gewaltverherrlichender Medieninhalte wird vor allem damit begründet, dass Kinder und Jugendliche ihr Verhalten erlernten und nicht ererbten. Zur Veranschaulichung werden häufig Vergleiche mit dem kriegsvorbereitenden Training des US-Militärs herangezogen, weswegen die Vermutung nahe liegt, dass Grossman sich vorwiegend auf seine Erfahrungen als Militärpsychologe stützt.

Es wird ausgeführt, dass Kinder und Jugendliche durch den Konsum von Mediengewalt konditioniert werden könnten, ganz ähnlich wie Rekruten beim Militär, deren Ego bewusst gebrochen und deren Geist gegenüber Gewalt vorsätzlich desensibilisiert wird. In den gewaltverherrlichenden Darstellungen fänden Kinder und Jugendliche gewalttätige Identifikations- und Nachahmungsfiguren, die sie erst imitierten und sich dann mit ihnen identifizierten. Grossman/DeGaetano resümieren, „dass diese Technologie [eher die Spiele, Anm. A.R.] in den Händen von Kindern sehr viel gefährlicher ist als in denen von Soldaten oder Polizisten“, weil Kinder – im Gegensatz zu Soldaten und Polizisten, so die Autor/-innen – die falschen Ziele träfen (S. 91). Der Effekt der Konditionierung wird mit dem Phänomen verglichen, das bei real missbrauchten oder misshandelten Kindern beobachtet wurde, nämlich dass diese eher dazu neigen, später Gewalt einzusetzen, als Kinder, die das nicht erfahren mussten. Die Untersuchungen von Hilde Bruch, Monika Gerlinghoff u. a. weisen allerdings darauf hin, dass die psychologische Verarbeitung von Gewalterfahrungen in der Kindheit geschlechtsspezifisch z. T. sehr unterschiedlich sein kann und Frauen in Folge sexuellen Missbrauchs oft eher dazu neigen, Gewalt gegen sich selber und nicht gegen andere zu richten (Magersucht, Bulimie etc.).

Als weiteren wissenschaftlichen Ansatz präsentieren Grossman/DeGaetano den Nachweis eines Einflusses von Mediengewalt auf die Gehirnentwicklung. Sie vermuten, dass physiologische Veränderungen im Gehirn, die bei gewalttätigen Menschen gefunden worden sind, auch durch den Konsum von Mediengewalt entstehen könnten. Die exakte Analyse dieser Einflussmechanismen bleibt der Band schuldig.

Ein weiterer Erklärungsansatz des Buches bedient sich suchtpsychologischer Thesen in Kombination mit der genannten Desensibilisierungsthese. Verantwortlich für suchterzeugende und desensibilisierende Wirkungen sei einmal die Verbindung zwischen Gewalt und Spaß, die z. B. entstehe, wenn sich Kinder zur Belustigung gewaltverherrlichende Materialien ansähen und dazu gemütlich zu Hause säßen und Süßigkeiten äßen. Zum anderen sei dies durch den technischen Fortschritt, vor allem bei den Computerspielen, bedingt. Sie seien interessanter, weil sie interaktiv sind, die Darstellungen seien immer realistischer und die/der Spielende habe selbst die Kontrolle über das Spiel. In einer zitierten Studie wird festgestellt, dass es vor allem männliche Kinder und Jugendliche mit geringer Selbstsicherheit sind, die gewaltverherrlichende Spiele bevorzugten. Weitere Suchtfaktoren seien, dass, anders als in der Realität, die Schwierigkeit des Spiels den Fähigkeiten der/des Spielenden angepasst werden könne. Zudem erführen die Spielenden sofortige und anhaltende Bestätigung, und schließlich könnten die Spielenden mit Hilfe der Spiele aus der Realität flüchten in eine Welt, in der sie die Kontrolle hätten. Die Zeit, die sie vor dem Bildschirm verbringen, fehle den Kindern und Jugendlichen, das reale soziale Miteinander zu lernen. Wenn sie dann Schwierigkeiten mit dem sozialen Umfeld haben, werde es umso wahrscheinlicher, dass sie sich wieder in gewaltverherrlichende Spielen flüchteten, weil sie da die Kontrolle hätten. Es entstehe ein Teufelskreis.

Besonders interessant im Rahmen der von Grossman und DeGaetano herangezogenen wissenschaftlichen Theorien ist das in Anlehnung an AIDS neu definierte Krankheitsbild AVIDS, das Acquired Violence Immune Deficiency Syndrom. Das Syndrom wird folgendermaßen definiert: Es „verhindert die wünschenswerte kognitive, emotionale und soziale Entwicklung und macht dadurch mehr Kinder anfälliger für andere gewaltfördernde Faktoren in unserer Gesellschaft, wie Armut, Diskriminierung, Drogen und die Verfügbarkeit von Feuerwaffen.“ (S. 77) Es ist bekannt, dass Menschen, die in Armut leben, als Überlebensstrategie auch zu Gewalt greifen. Dasselbe gilt für Menschen, die ständig Diskriminierungen erfahren. Wie es funktioniert, dass sie erst das Syndrom haben und dann anfälliger für Armut oder Diskriminierung werden, wird nicht erklärt. Auch die Anfälligkeit für die Verfügbarkeit von Feuerwaffen bleibt unklar.

Ratschläge an die Eltern

Dem Anliegen, den Eltern Ratschläge und Tipps an die Hand zu geben, wie sie mit ihren Kindern und Jugendlichen in Bezug auf den Medienkonsum im Allgemeinen und in Bezug auf den Konsum von gewaltverherrlichenden Medieninhalten im Speziellen umgehen sollen, wird u. a. ein eigenes Kapitel gewidmet. Es werden vier Grundregeln und neun Richtlinien zur Umsetzung der Grundregeln im Alltag aufgestellt. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang u. a., mit den Kindern und Jugendlichen über das Gesehene zu sprechen. Latent frauenfeindlich mutet folgende Frage an, die den Kindern oder Jugendlichen (welchen Alters bleibt ungeklärt) gestellt werden solle: „Bist du sexuell erregt vom Schlagen einer fast nackten Frau und fühlst dich gleichzeitig schuldig dafür?“ (S. 73) Auffallend ist auch, dass Grossman/DeGaetano die Verantwortung für Fähigkeiten, die eigentlich in den Schulen gelehrt werden sollten, wie z. B. die Vermittlung von Sprache und Schrift, bei den Eltern sehen. Und obwohl sie selbst feststellen, dass „es bedenklich (ist), dass viele Millionen Erwachsene in Amerika praktisch Analphabeten sind“ (S. 104), werden mögliche Mängel im US-amerikanischen Schulsystem nicht thematisiert.

Fragwürdig erscheint die mit dem Verweis auf ein konsensuales Alltagsverständnis getroffene Unterscheidung zwischen guten und schlechten Gewaltdarstellungen. Gute Gewaltdarstellungen seien „weniger aufputschend“ und langsamer, enthielten mehr Dialoge und regten zum Mitfühlen an. Würde man diese Aussage wörtlich interpretieren, so wäre eine Vergewaltigung oder eine Ermordung, die in Zeitlupe gezeigt wird, der Täter mit dem Opfer redet und das Opfer nicht so tut, als hätte es Spaß daran, eine ‚gute‘ Gewaltdarstellung…

Der Beitrag von Werner Glogauer als Anhang zur Deutschen Ausgabe

Der Beitrag des Medienwissenschaftlers Werner Glogauer ist wissenschaftlich sehr viel fundierter als die Beiträge von Grossman und DeGaetano. Er beschreibt die Fälle Amok laufender Jugendlicher in Deutschland und zeigt Ursachen auf, die für die gewalttätige Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind. Er stellt deutlich heraus, dass der Konsum von gewalthaltigen Materialien mit verantwortlich, aber dennoch nur ein Aspekt bei der gewalttätigen Entwicklung dieser Jugendlichen war. Bei einigen Amokläufern wurden extrem frauenverachtende, pornographische Materialien gefunden, und auch das soziale Umfeld, wie Elternhaus und Freundeskreis, hat bei den meisten wesentlich zu ihrer Entwicklung beigetragen. Außerdem seien die leichte Zugänglichkeit zu Waffen und der Waffenkult vor allem in den USA ausschlaggebende Elemente für die Persönlichkeitsentwicklung Amok laufender Jugendlicher.

Glogauer orientiert sich wissenschaftlich an den u. a. von der UNESCO anerkannten lerntheoretischen bzw. lernpsychologischen Ansätzen zur Erklärung des möglichen Einflusses von gewalthaltigen Materialien. Seiner Meinung nach sind es vor allem männliche Außenseiter, die in gewalthaltigen Spielen Identifikationsfiguren und Rollenmodelle suchen und finden. Glogauer geht dann auf die entscheidende Frage ein: Wenn Kinder und Jugendliche so leicht durch Gewaltdarstellungen beeinflussbar sind, warum werden dann nicht alle aggressiv und gewalttätig? Er stellt fest, dass dazu eine entsprechende psychosoziale Disposition notwendig sei. Nur bei denjenigen, bei denen es zu einem ‚kumulativ-aufschaukelnden Lernprozess‘ käme, könne der Konsum von gewalthaltigen Darstellungen in entsprechenden Situationen (z. B. Frust. Ärger) zu aggressivem Verhalten führen. Die Wahrscheinlichkeit sei bei der Gruppe, die sich durch die Eigenschaften „männlich, wenig reflexiv und aggressiv erzogen“ auszeichne, am größten. Ihr gegenüber stellt er die Gruppe „weiblich und reflexiv“, die durch den Konsum sogar friedlicher werde (S. 163–165). Als Lösungen für das Problem des massenhaften Konsums von gewalthaltigen Materialien durch Kinder und Jugendliche empfiehlt Glogauer einen besseren Jugendmedienschutz und die konsequente Durchsetzung der schon bestehenden Gesetze zum Jugendschutz. Ganz besonders betont er die Notwendigkeit der Einbeziehung von objektiv arbeitenden Wissenschaftlern.

Resumee

In ihrem Bemühen, den Leserinnen und Lesern die möglichen Gefahren des Konsums von gewalthaltigen Medien zu vermitteln, greifen Grossman und DeGaetano häufig zur Polemik. Sie neigen zu Verallgemeinerungen und nutzen Verweise auf Studien und Forschungen, für die sie keine Quellen liefern. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist problematisch, dass sie relativ unspezifisch von ‚Kindern‘, ‚Kindern und Jugendlichen‘ oder ‚Jugendlichen‘ sprechen und nur selten konkrete Altersangaben machen. Gerade bei der Diskussion um die Beeindruckbarkeit und Beeinflussbarkeit durch Medien ist es aber wichtig, zwischen Fünf- und Fünfzehnjährigen zu differenzieren.

Nicht thematisiert wird von Grossman und DeGaetano der gesamte Aspekt der geschlechtsspezifischen Sozialisation, obwohl die in dem Buch zitierten Forschungen immer wieder deutlich darauf verweisen, dass es vor allem männliche Personen sind, die gewalthaltige Medieninhalte konsumieren und aufgrund dieser unter bestimmten Umständen aggressiver werden. Auch die Amok laufenden Jugendlichen sind ausschließlich männlich. Ausgespart wird auf diese Weise nicht nur die Frage nach den realen wie virtuellen Tätern und Opfern, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhang zwischen Spiel und Realität. Fernsehen, Video- und Computerspiele sind nur Medien, ihre Inhalte werden von Menschen gemacht. Insofern spiegeln die Medieninhalte gesellschaftliche Realitäten. In einer Diskussion über die geschlechtsspezifische Sozialisation müsste der Aspekt aufgegriffen werden, dass Aggression und Gewalt nach wie vor als männliche Lösungsstrategie geduldet und z. T. gefördert wird, was den „Lernerfolg“ von gewalthaltigen Filmen, Videos und Spielen bei männlichen Personen erst ermöglicht.

Ebenfalls nicht thematisiert wird der ganze Bereich der sexistischen, sexualisierten und pornographischen Gewalt online wie ‚offline‘. Aufgegriffen werden darüber hinaus nur Darstellungen von offener und direkter Gewalt. Mögliche negative Auswirkungen der Darstellungen von verdeckter und struktureller Gewalt bleiben unerwähnt.

Nach Lektüre des Buches Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht drängt sich die Frage auf, warum so viele männliche Kinder und Jugendliche eine Vorliebe für gewalthaltige und meist sexistische Medieninhalte haben, obwohl der immer coole, eisenharte, um sich schießende und prügelnde männliche Superheld bestenfalls noch auf den diversen Kriegsschauplätzen dieser Welt gefragt ist. Vielleicht stimmt also etwas mit dem Männerbild nicht, das männlichen Kindern und Jugendlichen beigebracht und vorgelebt wird, und vielleicht müsste das Buch also eher heißen: „Wer hat unseren Jungen das Töten beigebracht?“

URN urn:nbn:de:0114-qn043094

Dr. Andrea Rothe

Politikwissenschaftlerin, Vorstandsfrau der Frauenakademie München e.V. und langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Internetredaktion des Deutschen Museums München (letzteres bis Juni 2003)

E-Mail: Rothe-Andrea@web.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.