Frauen der Heine-Zeit

Rezension von Mechthilde Vahsen

Irina Hundt (Hg.):

Vom Salon zur Barrikade.

Frauen der Heinezeit.

Stuttgart, Weimar: Metzler 2002.

460 Seiten, ISBN 3–476–01842–3, € 49,90

Abstract: Der Sammelband stellt 26 Frauen aus der Zeit zwischen dem Ende des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Es handelt sich um Schriftstellerinnen, Publizistinnen, Künstlerinnen, Sängerinnen, eine Hausangestellte und eine Ärztin. Die einzelnen Beiträge bieten neue Perspektiven und wichtige Ergebnisse nicht nur für die Frauenforschung zum 19. Jahrhundert.

Frauen zwischen Revolution und Emanzipation

Frauen zwischen Salon, künstlerischer Selbstentfaltung und den Revolutionen von 1789 und 1848/49 – in diesem historischen Bereich bewegt sich der von Irina Hundt herausgegebene Sammelband Vom Salon zur Barrikade. Die wissenschaftlichen Aufsätze widmen sich dem Leben und Werk von 26 (statt, wie im Vorwort angegeben: 27) Frauen, die entweder private oder künstlerische Bezüge zu Heine aufweisen oder eine „sichtbare gesellschaftliche Leistung in dieser ‚seiner‘ Zeit vollbrachten“ (S. 14). Entstanden ist die Idee während des internationalen Heine-Kongresses 1997 in Düsseldorf. Diesem Kontext ist wohl auch die Benennung der dargestellten historischen Phase nach Heine geschuldet, was an Bücher über „Frauen der Goethezeit“ erinnert.

Das Buch unterscheidet sich wohltuend von Darstellungen, die sich ausschließlich auf die Verbindungen von Frauen zu berühmten männlichen Zeitgenossen konzentrieren. Stattdessen stehen hier die Frauen mit ihren Leistungen im Vordergrund, auch wenn vorhandene Beziehungen zu Heinrich Heine integriert sind.

Biographie

Der erste Komplex stellt Frauen vor, die in der geisteswissenschaftlichen Forschung bisher vor allem aufgrund ihrer Kontakte zu berühmten Zeitgenossen wahrgenommen wurden. Sie werden – zum Teil erstmalig – selbst in ausführlichen Biograghien gewürdigt.

Lea Mendelssohn-Bartholdy, Mutter von Felix und Fanny Mendelssohn-Bartholdy, gehörte nicht zuletzt durch ihre Heirat mit Abraham Mendelssohn zu den bekannten jüdischen Familien Berlins. Ihr offenes Haus, ihr Engagement für die Musik, das nicht nur in der frühen Förderung der beiden begabten Kinder Wirkung zeigte, und den regen Austausch mit der Berliner Intellektuellen-Szene stellt Cornelia Bartsch dar.

Dem Freundeskreis um Lea Mendelssohn-Bartholdy stand auch Rahel Varnhagen nahe. Volker Schindler fasst zusammen, welche Reaktionen die Briefe von Rahel Varnhagen, die nach ihrem Tod publiziert wurden, in Frankreich hervorriefen.

Eine intensive Freundschaft verband die Jüdin mit ihrer späteren Schwägerin Rosa Maria Assing. Nikolaus Gatter stellt das Leben dieser wichtigen Zeitzeugin anschaulich und fundiert vor.

Ebenfalls in Berlin ansässig war die Malerin Louise Henry, die als eine der wenigen Frauen dieser Zeit eine offizielle Ausbildung u. a. bei Wilhelm Schadow erhielt. Barbara Bruderreck erzählt die Geschichte dieser Künstlerin.

Von Berlin geht es nach Dresden. Die im 19. Jahrhundert viel gelesene Autorin Friederike Wolfhagen schrieb unter dem Pseudonym Marie Norden einen Roman über die revolutionären Ereignisse in der Stadt. Marion Freund widmet dem Leben und dem Werk eine interessante Studie.

Ebenfalls in Dresden lebte Roswitha Kind, die Gedichte verfasste und bei öffentlichen Gelegenheiten vortrug. Obwohl keine direkte Beziehung zu Louise Otto-Peters nachweisbar ist, stellt Johanna Ludwig das Leben dieser Frau in Verbindung zur Zeitgenossin überzeugend vor.

Der Aufsatz von Inge Grolle über das Leben von Bertha Traun-Ronge führt in die Bewegung des Deutschkatholizismus ein. Die aus reichem Unternehmerhaus stammende Bertha Meier engagierte sich in Hamburg, gründete Frauenvereine mit und setzte sich für die Einrichtung der „Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht“ ein. Sie lernte den Deutschkatholiken Johannes Ronge kennen, lebte mit ihm nach ihrer Scheidung in London im politischen Exil. Sie führte einen Kindergarten und schrieb einen Kindergartenführer.

In ähnlicher Weise wie Traun-Ronge bildete sich Marie von Colomb autodidaktisch-empirisch in einem naturwissenschaftlichen Gebiet aus, der Wasserheilkunst. Sie erhielt für kurze Zeit eine Konzession und gründete eine eigene Wasserheilanstalt. Irina Hundt zeigt diesen beeindruckenden Lebensweg auf.

In den folgenden Beiträgen geht es um Beziehungen, die von Verehrung geprägt waren. Erhard Kiehnbaum entdeckt die zu Unrecht vergessene Autorin Emilie Emma von Hallberg neu. Sie verehrte Heine sehr und schrieb eine Verteidigungsschrift für ihn. Eine andere Art von Verehrung zeigte Jeanette Wohl-Strauß, deren Bedeutung für den Autor Börne bereits erforscht ist. Inge Rippmann schildert in ihrem Porträt eine Frau, die trotz dieser tiefen Freundschaft zu eigener Autonomie fand. Auch Helena Demuth verehrte zeitlebens, allerdings eine ganze Familie: Jenny und Karl Marx und deren Kinder. Wie Heinrich Gemkow beschreibt, war sie Haushälterin, Freundin, hatte ein Kind mit Karl Marx und wechselte später in den Haushalt von Friedrich Engels.

Darstellung neuer Quellen – spezielle Aspekte im Hinblick auf die Werke

Der zweite Komplex des Sammelbandes bezieht sich auf Frauen, die mittlerweile (nicht nur) durch die Leistungen der historischen Frauenforschung bekannt geworden sind. Die Untersuchungen greifen spezielle Aspekte auf.

Adele Schopenhauer, bisher als Tochter der Goethe-Freundin Johanna, als Schwester des Philosophen oder als Freundin zeitgenössischer Künstlerinnen wahrgenommen, steht stellvertretend für ein Leben zwischen Biedermeier und Vormärz, das von Waltraud Maierhofer umfassend skizziert wird.

Ein völlig anderes Leben führte hingegen Friederike Robert. Sie galt in ihrer Zeit als eine der schönsten Frauen, war mit Heine bekannt, schrieb Gedichte in schwäbischer Mundart und war über ihren zweiten Mann, Ludwig Robert, mit Rahel Varnhagen verschwägert. Jutta Rebmann stellt Auszüge aus dem Tagebuch von 1824 vor.

Eine weitere Frau erlangte durch ihren Freitod eher traurige „Berühmtheit“: Charlotte Stieglitz. Olaf Briese untersucht kritisch die Stilisierung dieser Frau zur Kunstfigur.

Einige Beiträge beschäftigen sich mit neuen Fragestellungen zum Werk von Schriftstellerinnen:

Petra Kabus untersucht ausgewählte Schriften der Autorin Caroline de la Motte Fouqué, die vor allem mit ihren historischen Romanen große Erfolge hatte, hinsichtlich der bewussten Vermischung von Textarten. Eine weitere zeitgenössische Autorin, die unter dem Pseudonym Talvj schreibende Therese Jakob, engagierte sich für die serbische Literatur, was Martha Kaarsberg Wallach detailliert aufzeigt. Zu dieser literarischen Phase (Biedermeier, Vormärz) gehört auch Amalia Schoppe, eine allein erziehende Berufsschriftstellerin, die 60-jährig in die USA auswanderte. Lorely French bezieht sich in ihrem fundierten Aufsatz auf das Gesamtwerk dieser Autorin.

Zwei weitere Bereiche, in denen Frauen Hervorragendes leisteten, sind das Theater und die Musik. Charlotte Birch-Pfeiffer, eine erfolgreiche Theaterautorin, verfasste mit ihrem ersten Stück Herma ein Amazonendrama, dessen Bezüge zu vergleichbaren zeitgenössischen Stücken Helga Kraft untersucht.

Till Gerrit Waidelich zeichnet nach, inwieweit die Sängerinnen Anna Milder-Hauptmann und Wilhelmine Schröder-Devrient Einfluss auf die Entstehung und Aufführungen der Oper Cordelia von C. K. Kreutzer nahmen. Cornelia Bartsch stellt die Komponistin Fanny Hensel vor. Diese vertonte einige Heine-Lieder, obwohl sie den Dichter nicht besonders mochte.

Die nachfolgende Generation von Frauen verbindet Politik und Leben, setzt sich publizistisch für ihre Überzeugungen ein und riskiert dafür auch Verfolgung und Exil.

Kathinka Zitz-Halein, Demokratin und Berufsschriftstellerin, war Zeit ihres Lebens politisch engagiert, nicht nur mit ihrem Frauenverein „Humania“, auch in ihren Schriften, die jedoch häufig unter dem Druck des Berufsschreibens entstanden, was Christian Liedtke detailliert aufzeigt. Eine Zeitgenossin von Zitz war die Autorin und Musikerin Johanna Kinkel, wie Zitz Demokratin und politisch verfolgt. Clara G. Ervedosa untersucht ihren Roman Hans Ibeles in London und fragt, inwiefern hier die zeitgenössische Debatte um die Frauenfrage eine Rolle spielt. Karin Füllner widmet ihren Aufsatz der Freundschaft zwischen Johanna Kinkel und Malwida von Meysenbug, deren schwieriger und schmerzhafter persönlicher Emanzipationsprozess durch ihre viel gelesenen Memoiren einer Idealistin bekannt wurde. Zu diesen politisch mutigen Frauen ist auch Louise Otto-Peters zu zählen. Johanna Ludwig präsentiert bisher unbekannte Briefe der 27jährigen, die diese zwischen 1846 und 1847 an den Redakteur der Zeitschrift „Veilchen“ schrieb. In die gleiche Zeit fällt auch das Hauptwerk der Philosophin und Frauenrechtlerin Louise Dittmar, deren Porträt Manuela Köppe zeichnet.

Fazit

Leider fehlt bei einigen Autorinnen die Einarbeitung neuerer Forschungen über ihre Rezeption der Französischen Revolution, was den politischen Kontext von Werk und Engagement abrunden würde. Ansonsten bietet der Band sehr gute Einführungen, Porträts und Einzeluntersuchungen, die in der Regel fundiert recherchiert und anschaulich sind.

Damit wird der Band zu einem wichtigen Forschungsbeitrag zum Verständnis der historischen Epoche. Es ist dem Buch eine Fortsetzung zu wünschen, da es noch zahlreiche weitere Frauen gibt, die in der Heine-Zeit Bemerkenswertes leisteten, wie beispielsweise die Astronomin Karoline Herschel oder die frühsozialistische Autorin Henriette Fröhlich.

URN urn:nbn:de:0114-qn042164

Dr. Mechthilde Vahsen

Universität Paderborn, Fb 3: Allgemeine Literaturwissenschaft, Schwerpunkt: Historische und literaturwissenschaftliche Frauenforschung

E-Mail: vahsen@hrz.upb.de

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