Frauen in Bewegung

Rezension von Sylvia Mieszkowski

Amelie Soyka:

Raum und Geschlecht.

Frauen im Road Movie der 90er Jahre.

Frankfurt a. M.: Peter Lang 2002.

106 Seiten, ISBN 3–631–38413–0, € 24,50

Abstract: Jüngst wurde ein „topographical turn“ in den Kulturwissenschaften diagnostiziert. In diesen theoretischen Kontext gehört Amelie Soykas filmwissenschaftliche Analyse. Anhand von Ridley Scotts Thelma & Louise und Edward Zwicks Leaving Normal versucht sie, den Mechanismen der gegenseitigen Konstitution und Beeinflussung von Genre, Raum und Gender in der Dynamik ihres Zusammenspiels auf die Spur zu kommen.

Unterwegs in Amerika

Soykas theoretisch-allgemeiner Teil behandelt die Kategorien Genre – Raum – Gender nacheinander, ohne je ihre enge Verwobenheit aus dem Blick zu verlieren. Die bestimmenden Komponenten des Road Movies – die Straße, das Auto, das „Weite Land“, die Reise selbst, samt ihrer metaphorischen Dimension der Identitätssuche – werden vorgestellt, (literar- )historisch sowie soziokulturell beleuchtet und zueinander in Bezug gesetzt. Die Argumentation lässt einen für das Road Movie typischen double-bind deutlich hervortreten: Auf der einen Seite steht das inhaltlich konstitutive Moment der räumlichen wie moralischen Absetzung von der Gesellschaft und der von ihr postulierten „Normalität“. Gleichzeitig besteht aber eine enge formale Gebundenheit des Road Movies an narrative Konventionen. Den Überschreitungen dieser Konventionen und den Sanktionen bzw. neuen Möglichkeiten, die sie nach sich ziehen, gilt Soykas erklärtes Interesse.

Raumsemantik

Der narrative Raum, der im Road Movie – als „zivilisierter“ Innenraum des „home“ – verlassen oder – als „wilder“ Außenraum – durchmessen wird, ist geschlechtsspezifisch codiert. Die asymmetrische Semantik, die weibliche Figuren in den Innenraum bannt, während sie männlichen Figuren auch das Außen zu Verfügung stellt, wird von Soyka historisch hergeleitet. Den prägnanten Exkurs zur europäischen Geschichte der Geschlechterkonfigurationen seit 1800 ergänzen Informationen über spezifisch amerikanische Ausprägungen dieser folgenreichen Dichotomie. Über die Analyse der Erzählmuster des Western, des Mythos Auto oder des Ortes der Frau im „Raum Movie“ werden darüber hinaus Strategien freigelegt, die die entlang der Gender-Achse codierte Semantik, ihre Naturalisierung und Institutionalisierung – auch im Road Movie – stabilisieren.

Das „andere“ Buddy-Paar

Wenn das klassisch männliche Buddy-Paar in Road Movies der 90er Jahre mit zwei Frauen besetzt wird, so stellt dies eine jener Grenzüberschreitungen dar, die sowohl die Kategorie Gender als auch die Kategorie Raum betreffen. Anhand der Analyse von Ridley Scotts Thelma & Louise (1991) und Edward Zwicks Leaving Normal (1992) werden im zweiten Teil der Studie genretypische Raumrestriktionen, ihre geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Formen ihrer Übertretung unter die Lupe genommen. Gefragt wird außerdem nach Momenten der Vermittlung – anderen Räume, anderen Rollen –, die durch die Grenzüberschreitungen zwischen Innen versus Außen, „weiblich“ versus „männlich“ sichtbar oder denkbar werden.

Finalbetonte Lektüre

Obwohl Amelie Soyka den quantitativen Schwerpunkt ihrer Analysen auf die Aspekte der Überschreitung und Vermittlung legt, sind für ihre Einschätzung der Filme die beiden Schlüsse entscheidend. In Thelma & Louise wird die Bewegung vom Innen zum Außen sanktioniert und endet mit dem freiwilligen endgültigen Selbstausschluss aus der Gesellschaft. Der Film wird dementsprechend zugleich als „Wendepunkt“ mit hohem grenzüberschreitenden Potential und „als eine Sackgasse“ (S. 50) des Genres gelesen. Leaving Normal hingegen wird eine Neukombination der Kategorien Raum und Gender attestiert: Die Bewegung vom Außen zum Innen wird belohnt und endet mit einer alternativen Form des Zusammenlebens.

Die Parallelstrukturierung der beiden Filmanalysen hat zweifelsohne methodische Vorteile. Allerdings drängt sich der Verdacht auf, dass die so erzielte Sauberkeit der Kategorisierung auf Kosten der Offenheit für Zusammenhänge gewonnen wird, die mit den ausgewählten „filmanalytischen Parametern“ (S. 47) nicht erfasst werden können. Wer genau dieselben Fragen an verschiedene Filme stellt, kann zwar Antworten bekommen, die in ihrer Parallelität und/oder Unterschiedlichkeit aussagekräftig sind. Eine gewisse Blindheit für Fragen, die jenseits dieses festgelegten Katalogs liegen, ist damit allerdings vorprogrammiert. „Letztendlich“, so das Fazit, „hält das Genre seine ursprünglichen Grenzen intakt: Frauen haben auf den Straßen der Road Movies nichts verloren, für sie kann Unterwegssein nichts anders als ein Fluch sein […] auch das Ende dieses Road Movies präsentiert sich als Bestätigung der Raum-Gender-Formel der Berber: ‚Die Frau hat nur zwei Wohnbereiche: das Haus und das Grab‘.“ (S. 84) Auch wenn diesem Ergebnis im Lichte der Analysen eine gewisse Folgerichtigkeit nicht abgesprochen werden kann, ist es doch maßgeblich ein Effekt der Interpretation der Filme vom Ende her. Eine andere – eventuell auch für die beiden Filme unterschiedliche – Fokussierung, etwa entsprechend der Unterüberschrift „The Journey is the Thing“ (S. 8), hätte auch zu einem anderen, vielleicht differenzierteren Fazit führen können.

Road Movie als Metakino?

Soykas Untersuchung der Kategorien Raum – Geschlecht – Genre in ihrer komplexen Verwobenheit und gegenseitigen Beeinflussung gewährt neue Einsichten in die genrekonstituierenden Mechanismen des Road Movies. Die größte Stärke dieser Arbeit liegt in ihrer soliden Klarheit, die sich im Aufbau, in der Herleitung der Fragen, in der scharfen Argumentation und der präzisen Formulierung der Thesen niederschlägt. Die historischen Abrisse zum Genre, zu den Modellen der Geschlechterdifferenz und zur Bedeutung des Raums im Kontext der US-amerikanischen Kultur sind – knapp, doch das Wichtigste bündelnd – souverän präsentiert. In einigen Beobachtungen wie die der Übereinanderblendung von Auto/Kino und Straße/Film und deren Auswirkungen auf Perspektivierung und Raumkonstitution blitzt das Potential einer medienorientierten Lektüre auf. Man hätte weiterfragen können, welche Konsequenzen sich aus der Lektüre des Autos als „ ‚miniature movie within a movie‘“ (S. 28) und damit der Interpretation des Road Movies als Ort der Selbstreflexion des Kinos für die untersuchten Filme ergeben.

Die restlichen 90iger

Kein Zweifel: Der Untertitel „Frauen im Road Movie der 90er Jahre“ ist ungeschickt gewählt. Er schürt die Erwartung, man bekomme eine Art Spektrum der Entwicklungen des Road Movies über eine Dekade präsentiert. Tatsächlich konzentriert sich die Analyse auf nur zwei Filme aus den Jahren 1991 und 1992. Zwar deutet die ausführliche Filmographie an, dass es seitdem sehr wohl noch andere Road Movies gegeben hat, aber für die Argumentation spielen diese kaum eine Rolle. Warum nicht? Gibt es dort keine vergleichbaren Frauenfiguren? Gibt es bis zum Ende der 90er keine merklichen Veränderungen in der Konstellation Raum-Genre-Geschlecht? Fallen die späteren Filme hinter die Errungenschaften der beiden analysierten zurück? Bilden diese ein derart starkes Paradigma aus, dass sich das Road Movie seither lediglich daran abarbeitet? Ein skizzenhafter Ausblick, der wenigstens einige dieser Fragen beantwortet, wäre eine sinnvolle Ergänzung gewesen.

Effekte der Dichotomisierung

An die Beschränkung auf nur zwei Filmbeispiele schließen sich andere, vielleicht brennendere Fragen an, die nicht nur unbeantwortet, sondern leider auch ungestellt bleiben: Sind die in den Filmen so gut erfassten Mechanismen der Dichotomisierung vielleicht dafür verantwortlich zu machen, dass es schwierig ist, Beispiele für eine Alternative zu diesen ZWEI Bewegungen zu machen? Ist, mit anderen Worten, die Arbeit in ihrer Struktur selbst ein Effekt jener Mechanismen, die sie kritisch beschreibt? Reflexionen auf dieser Ebene werden angedeutet, kommen insgesamt aber zu kurz. Immerhin wird in der Schlussbemerkung eine mögliche Alternative zur mehrmals aufgerufenen, deprimierenden Wahl zwischen „Haus oder Grab“ angedeutet. Die theoretische Untermauerung und Füllung dieses Modells der auf Dauer gestellten Reise durch konkrete Beispiele für das „keep going“ (S. 85) hätte sich angeboten.

URN urn:nbn:de:0114-qn042148

Dr. Sylvia Mieszkowski

München/Ludwig-Maximilians-Universität/Department für Anglistik und Amerikanistik

E-Mail: smieszkowski@web.de

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