Stereotype Männlichkeit auf dem Prüfstand?

Rezension von Ilka Borchardt

Therese Steffen (Hg.):

Masculinities – Maskulinitäten.

Mythos – Realität – Repräsentation – Rollendruck.

Stuttgart, Weimar: Metzler 2002.

291 Seiten, ISBN 3–476–45293–X, € 29,90

Abstract: Das von Therese Steffen 2002 herausgegebene Buch Masculinities – Maskulinitäten stellt deutsch- und englischsprachige Arbeiten zur Vielfalt von Vorstellungen über Männlichkeit vor. Das Anliegen der Autor/-innen ist nicht nur die Auflösung der eindimensionalen Kategorie „Mann“, sondern auch die Diskussion der „Realität stereotyper hegemonialer Maskulinität“.

Die „Krisenfigur Mann“ und ihre Männlichkeiten

Im hier vorliegenden Sammelband Masculinities – Maskulinitäten von Therese Steffen finden sich 18 Beiträge. Die Arbeiten teilweise namhafter Autor/-innen wie Elisabeth Bronfen, Walter Erhart, Britta Hermann und Klaus Theweleit sind den Themenkomplexen „Mythos-Realität“, „Visuelle Repräsentation“, „Literarische Repräsentation“ und „Rollendruck“ zugeordnet. Mit dieser Aufteilung möchte die Herausgeberin die grundsätzliche Vielfalt von Männlichkeitsentwürfen zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig soll verdeutlicht werden, dass nicht mehr eine homogene, eindeutige Männlichkeit verhandelt wird, sondern bewusst und auf der Grundlage theoretischer und empirischer Belege die Veränderlichkeit der „Krisenfigur Mann“, die Konstruktion von „Männlichkeiten“ (im Plural) angesprochen und gedacht wird.

Die Zweisprachigkeit der Beiträge verdeutlicht den Einfluss der anglo-amerikanischen Forschung. Diese habe längst aufgezeigt, dass „Männlichkeit zumindest implizit als sozialpsychologisch begründete ‚Deformation‘ verhandelt“ wird. (S. vii) Trotz dieser schon kanonisierten Thesen sei es zu einfach, den Mann als „ein ewig Mängelwesen“ zu betrachten, so die Herausgeberin Therese Steffen. (S. viif.)

Die angesprochene Simplifizierung versucht dieser Band zu vermeiden, indem von den unterschiedlichen wissenschaftlichen Standpunkten aus die verschiedenen Arten der Repräsentationen untersucht werden (Videoclips, Spielfilme, Dokumentationen, Briefe, Gedichte, Essays etc.). Darüber hinaus bieten zwei Aufsätze über Rollendruck Einblicke in die Alltagswelt, den Umgang mit Männlichkeitsvorstellungen und die Bewältigungsprinzipien bei Diskrepanzen zwischen der von Männern erlebten Realität und stereotypen gesellschaftlichen Vorstellungen.

Auffallend ist die in vielen Beiträgen wiederkehrende Referenz auf Gewalt als eine Strategie zur Wiederherstellung und Sicherung dominanter Vorstellungen von Maskulinität. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang E. Bronfens Analyse „ ‚Masculinity; see under crisis‘: Die Verfilmungen der Teena Brandon“ (Boys don’t cry). Dieses relativ neue Beispiel einer Auseinandersetzung mit krisenhaften Geschlechtervorstellungen illustriert eindrucksvoll, dass die Krise männlicher Autorität nicht nur biologische Männer betrifft. Ebenso werden hier die geringen Spielräume im Ausdruck deutlich, da die Verwendung der Personalpronomen „sie“ und „er“ in diesem Artikel Verwirrung stiften können.

Das Thema Gewalt als Beziehungselement zwischen den biologischen Geschlechtern wird in den meisten anderen Beiträgen abgelöst durch die Illustrierung der Konkurrenz zwischen verschiedenen Männlichkeitsentwürfen. Es wird dargestellt, wie die häufig gewaltsame Auflösung dieser Konkurrenz zugunsten eines dominanten, heterosexuellen, oft weißen westlichen Entwurfes stattfindet. (Eine Ausnahme bildet der Artikel von Elisabeth Schaefer-Wuensche über den „Million Man March“ auf Washington).

Die Dominanz eines heterosexuellen, westlichen Entwurfes von Mannsein wird auch im Kapitel „Literarische Repräsentation“ illustriert. Hier finden sich Beispiele, wie Männerfreundschaften „heterosexualisiert“ werden können: Indem z.B. literarische Referenzen auf erotische heterosexuelle Beziehungen in einen männlichen Freundschaftsdiskurs eingebracht werden, wird nicht nur das „bedrohliche Weibliche“ ausgeschlossen, sondern auch die bedrohte, instabile „Männlichkeit“ wiederhergestellt. Eine solche Strategie findet sich nach Sven Limbeck bereits in der römischen Antike. Die von ihm herausgearbeiteten Paradigmata bilden eine bemerkenswerte Grundlage für das Verständnis der darauf folgenden Arbeiten zur Literatur aus dem Altenglischen, der Renaissance, der Klassik, Romantik und Postmoderne.

Ein Beitrag über explizit schwule Männlichkeitsvorstellungen auch im Bereich der Literatur hätte allerdings einer gewissen Eindimensionalität der vorgestellten Entwürfe besser entgegenwirken und die tatsächliche Vielfalt der Konzepte deutlicher illustrieren können. In dieser Hinsicht fehlte mir außerdem zumindest ein Beitrag zu nicht-westlichen Maskulinitäten (z.B. von Migranten).

Im letzten Kapitel kommt die Herausgeberin mit „Masculinities/Maskulinitäten and its Mal(e) Contents“ mit einer vergleichenden Zusammenfassung über die Entwicklung der Männlichkeitsforschung im anglophonen und deutschsprachigen Raum selbst zu Wort.

Aufschlussreich ist hier vor allem die Verortung der „Masculinities“ und „Men’s Studies“ nicht nur in Bezug auf Gender und Women’s Studies, sondern auch die Differenzierung theoretischer Ansätze und Strömungen innerhalb der Männlichkeitsforschung. In diesen theoretischen Kontext lassen sich auch die vorangegangenen Analysen einordnen.

Fazit

Dass manche der Beiträge wenig theoretische Auseinandersetzung bieten, sollte für Experten der Männlichkeitsforschung nicht als Mangel erscheinen. Doch selbst als „Einführung“ in die aktuelle Diskussion eignet sich dieses Buch durch Therese Steffens abschließenden Beitrag, der gleichzeitig auch einen Ausblick auf die Zukunft der „Masculinities“ versucht. Anhand der aufgezeigten diversen Repräsentationen und Wirkungsweisen von Männlichkeitsvorstellungen wird die Vielfalt selbst innerhalb hegemonialer Entwürfe deutlich. Es wird deutlich, dass auch die „Krisenfigur Mann“ als ein Konstrukt zu verstehen ist und in ihrer Pluralität weiterhin reiche Forschungsmaterial bereithält.

Leider lässt die redaktionelle Bearbeitung des Buches sehr zu wünschen übrig. Angefangen von formellen Mängeln wie Schreibfehlern, fehlenden Leerzeichen, falschen Zeilenumbrüchen, mindestens einem sinnentstellenden Grammatikfehler (S. 140) bis hin zur Wiederholung eines ganzen Absatzes (S. 95), fehlenden Anführungszeichen bei Zitaten und gar einer falschen Inhaltsangabe.

Auf diese Weise wird der Gesamteindruck dieses doch wichtigen Buches bedeutend geschmälert, und es entsteht der Eindruck von ungenauer Arbeit, welcher der inhaltlichen Qualität und der Präzision und Differenziertheit der einzelnen Beiträge widerspricht.

URN urn:nbn:de:0114-qn042086

Ilka Borchardt

Berlin: Freie Universität, Ethnologie

E-Mail: semykina_ilka_1999@yahoo.de

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