In der (Technik-) Bildung nichts Neues?

Rezension von Anina Mischau

Andrea Wolffram:

Frauen im Technikstudium.

Belastungen und Bewältigung in sozialen Studiensituationen.

Münster: Waxmann 2003.

282 Seiten, ISBN 3–8309–1240–4, € 29,90

Christine Wächter:

Technik-Bildung und Geschlecht.

München, Wien: Profil 2003.

283 Seiten, ISBN 3–89019–515–6, € 30,00

Abstract: Die anhaltende Unterrepräsentation von Frauen in technischen Ausbildungsberufen, Studienfächern und (technischen wie ingenieurwissenschaftlichen) Berufsfeldern, die Frage nach den Ursachen hierfür, aber auch die Suche nach, Entwicklung und Erprobung von Ansätzen zur Überwindung derselben wurde gerade in den letzten Jahren in einer unglaublichen Vielzahl von Publikationen bearbeitet und diskutiert. Auch die beiden vorliegenden Studien sind diesem Forschungsfeld zuzuordnen. Andrea Wolffram setzt sich in ihrer Studie mit sozialen (in Abgrenzung zu leistungsbezogenen) Studienbelastungen in technischen Studiengängen und deren Bewältigung durch Ingenieurstudierende im Geschlechter- und Hochschulvergleich auseinander. Damit greift sie eine sehr spannende und im bisherigen Diskurs kaum beachtete Fragestellung auf. Christine Wächter verbindet in ihrer Studie die theoretische Analyse des Spannungsverhältnisses „Frau-Sein, Technik und Männlichkeit“ mit praktischen Handlungsansätzen. Mit ihrem zentralen Anliegen, wie Mädchen und Frauen in der dynamischen Wechselwirkung von Technik und Gesellschaft ein aktiverer, gestaltender Part ermöglicht werden kann, zielt sie „mitten ins Herz“ eines gesellschaftspolitisch bedeutsamen (Herrschafts-)Diskurses.

Theoretische Verortung und Zugänge der beiden Studien

Andrea Wolffram verortet ihren theoretischen Ausgangspunkt zunächst auf den Hintergrund von gesellschaftsbezogenen Erklärungsansätzen zum „Technikdesinteresse“ von Frauen. Unter der Überschrift „Geschlechtsspezifische Sozialisation im System der Zweigeschlechtlichkeit“ geht sie auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität (und Technikkompetenz), die schulische Sozialisation und geschlechtsspezifische Unterschiede im Interesse an Mathematik, Naturwissenschaften und Technik ein. Unter dem Aspekt „Rahmenbedingungen weiblicher Erwerbsarbeit und Arbeitsmarktsegregation“ reflektiert sie akteursorientierte, strukturorientierte und konstruktivistische Ansätze sowie jene aus der Frauenforschung, die sich mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation auseinandersetzen. In dem Abschnitt „Professionalisierung des Ingenieurberufes und die männlich geprägte Tradition der Ausbildung“ schließlich behandelt sie die Aspekte der Vergeschlechtlichung und Professionalisierung von Berufsbereichen und Professionen, insbesondere der Ingenieurberufe, und die Mechanismen geschlechtshierarchischer Statusdistributionen in diesen Prozessen. Die Leser/-innen finden hier eine sehr gelungene und fundierte Aufarbeitung des Diskurses in diesen Forschungsfeldern. Dies gilt auch für das Kapitel, in dem Wolffram dann ihren konkreten theoretischen Bezugsrahmen, die kognitive Stress- und Bewältigungstheorie und ein stresstheoretisches Modell zur Herleitung von Belastungsvariablen, vorstellt sowie einen Überblick über die Coping-Forschung gibt.

Der theoretische Zugang von Christine Wächter zeigt zwangsläufig einige Überschneidungen mit der Literaturanalyse bei Wolffram. Dennoch stellt Wächter andere Aspekte in den Vordergrund. Sie nimmt vor allem Erkenntnisse der feministischen Natur- und Technikkritik auf, um sowohl in der Technikentwicklung als auch in der Entstehung entsprechender Berufe, Ausschluss- und Ausgrenzungsmechanismen gegenüber Frauen zu beschreiben, die historisch zu der Konnotation von Männlichkeit mit Technik einerseits und zu den Mythen der weiblichen Technikferne bzw. der fehlenden weiblichen Technikkompetenz andererseits führten. Anschließend reflektiert sie Diskussionsstränge, die sich mit der „Exotinnensituation“ von Ingenieurinnen, dem Technikinteresse, der Techniksozialisation und der Technikgestaltung von Mädchen und Frauen beschäftigen, und geht dabei auch auf „frauenadäquate“ Reformansätze in der Technikausbildung an Hochschulen und auf Frauenfördermaßnahmen in der Wirtschaft ein. Der „Theorieteil“ von Wächter ist sehr knapp gehalten und wird durch Zitate aus Interviews und Erläuterungen anhand konkreter Praxisbeispiele aufgelockert. Wächter stellt dabei eindeutig nicht die Aufarbeitung eines wissenschaftlichen Diskurses in den Vordergrund, sondern das Aufzeigen der Praxisbezüge (bisheriger) theoretischer Erkenntnisse und Reflektionen.

Fragestellungen und Methoden

Die Studie von Christine Wächter geht auf das Forschungsprojekt „Maßnahmenpaket für ein Frauen-Technologie-Programm“ aus dem Jahr 1999 zurück, das sich durch seinen konkreten Praxisbezug auszeichnete. Ausgangspunkt der von der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz in Auftrag gegebenen Studie war, dass die Kommunalverwaltung Villachs (Österreich) beim Aufbau des Micro Electronic Cluster Villach (vorzustellen als Elektronik-Technologiepark, Anm. d. V.) und der Fachhochschule „wirtschaftspolitische und bildungspolitische Ziele mit frauenpolitischen, und hier insbesondere arbeitsmarktpolitischen Anliegen“ (S. 19) verknüpfen wollte. Das Forschungsprojekt hatte daher eine klar vorgegebene Frage- und Zielstellung:

1. Die Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in hochqualifizierten technischen Berufen im Rahmen eines Modellprojektes in der Region Villach und unter Einbezug relevanter Akteur/-innen;

2. Erhebung regionaler Rahmenbedingungen und bereits bestehender Förderkonzepte für Frauen in diesen Berufsfeldern;

3. Prüfung der Übertragbarkeit anderer „Best Practice Modelle“ und

4. Erarbeitung eines Manuals zur Entwicklung und Implementierung eines auch auf andere österreichische Regionen oder Kommunen übertragbaren Maßnahmenpakets für ein Frauen-Technologie-Programm.

Im Zentrum der Studie steht die Aufarbeitung und Auswertung von insgesamt 53 qualitativen Interviews, denen jeweils ein zielgruppenspezifischer Leitfaden zugrunde lag. Interviewt wurden der Direktor, der Abteilungsvorstand, neun Lehrer/-innen und 15 Schülerinnen der Höheren technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt Villach (HTL), der Studiengangsleiter, zwei Lehrbeauftragte und vier Studentinnen des Fachhochschulstudiengangs Elektronik in Villach, zwölf technische Angestellte, eine Verwaltungstechnische Angestellte und vier Personen aus dem Personalmanagement von ausgewählten Betrieben im Micro Electronic Cluster Villach sowie drei Ingenieurinnen aus Graz.

Zusätzliches „Datenmaterial“ ergab sich aus Deutschaufsätzen dreier Klassen an der HTL zum Thema „Als Mädchen in einer technischen Schule“, die „Burschen“ und Mädchen gleichermaßen anfertigten. In die Publikation wurden zudem Ergebnisse und Diskussionen aus zwei Workshops des Frauen-Technologie-Programms Villach integriert. Dem dominierenden Praxisbezug des Forschungsprojektes mag es geschuldet sein, dass die (wissenschaftlich-methodisch) interessierte Leser/-in über das methodische Vorgehen so gut wie nichts erfährt. Dies gilt z.B. für die Auswahlkriterien und die Rekrutierung der Interviewpartner/-innen wie für die Art und Weise der Aufbereitung und Auswertung des qualitativen Datenmaterials.

Die Dissertation von Andrea Wolffram verfolgt demgegenüber eindeutig einen „rein“ wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Die von der Autorin reklamierte Praxisrelevanz bleibt dabei von völlig untergeordneter Bedeutung; sie wird lediglich am Ende der Studie kurz angedeutet. Das wissenschaftliche Interesse der Autorin ist wohl auch der Grund, warum „Methodenfreaks“ hier „voll auf ihre Kosten“ kommen. Es ist eine Seltenheit, dass ein/e Wissenschaftler/-in so detailliert und transparent das Untersuchungsdesign einer empirischen Studie, die verwendeten Methoden und die einzelnen Auswertungs- oder Analyseschritte dokumentiert. Den Ausgangspunkt der Studie bildet die Hypothese, dass soziale Studienbelastungen und deren Bewältigung einen in der Forschung bislang wenig beachteter Aspekt darstellt. Diese systematisch zu erfassen und zu untersuchen, könnte die neue Basis für Erklärungsansätze zur Unterrepräsentation von Frauen in entsprechenden Studiengängen und für die Entwicklung von Interventionsansätzen sein. Insbesondere dann, wenn sich bestätigen ließe, dass soziale Studienbelastungen eine Form des sozialen Schließungsprozesses gegenüber Frauen darstellen. Unter Rückgriff auf das transaktionale Stressmodell von Lazarus formuliert Wolffram vier Fragestellungen, denen sie nachgehen will:

„1. Welche sozialen Studiensituationen mit Belastungspotential sind für Studierende existent? 2. Welche Studiensituationen wirken sich in besonderem Maße im Studienalltag aus?

3. Mit welchen Bewältigungsformen reagieren Studierende auf soziale Studienbelastungen?

4. Welche Bedeutung hat das Geschlecht bzw. die Hochschulform für die Wahrnehmung der sozialen Studienbelastungen und deren Bewältigung? „ (S.13)

Das der Arbeit von Wolffram zugrundeliegende Forschungsprojekt ist eigentlich als „klassische“ Multi-Methodenstudie konzipiert. Sechs qualitative Interviews mit Studenten und Studentinnen aus den Studiengängen Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen der FH Ostfriesland und der TU Braunschweig werden als Explorationsinstrumente einer quantitativen Erhebung vorgeschaltet. Diese wurde dann im Sommersemester 1999 an den Fachhochschulen Ostfriesland, Osnabrück und Wilhelmshaven sowie an der TU durchgeführt. 268 Studierende (23,1% Frauen und 76,9% Männer) beteiligten sich an dieser quantitativen Befragung. Leider „beschränkt“ sich die vorliegende Publikation nur auf die Darstellung der Ergebnisse aus der vergleichenden Interviewanalyse.

Was kann die Leserin, der Leser Neues erwarten?

Andrea Wolffram geht der Frage nach, ob und inwieweit Frauen als Minderheiten in technischen Studiengängen sozialen Studienbelastungen ausgesetzt sind, in deren individueller Wahrnehmung und Bewältigung Hinweise zur Erklärung (und damit Überwindung) hoher Abbruchquoten von Frauen und ganz allgemein des anhaltend geringen Frauenanteils gefunden werden könnten. Damit greift sie einen sehr interessanten Aspekt auf, der bislang in der hochschulpolitischen Reformdebatte kaum beachtete wurde. Leider ist es ihr (noch) nicht gelungen, diese Frage befriedigend und/oder gar abschließend zu beantworten. Auf der Basis ihrer Literaturanalyse identifiziert Wolffram relevante Belastungssituationen und strukturiert diese in zentrale Ober- und Unterkategorien. Als Oberkategorien werden die Minderheitensituation, die Vorerfahrung, die Studieninhalte, die Lehr- und Lernformen, das soziale Klima an der Hochschule und die Kompetenzabsprache (seitens der Männer) beschrieben. Jeder dieser Oberkategorie ordnet Wolffram mehrere operationalisierbare Unterkategorien zu. Mit der Entwicklung dieses Kategoriensystems hat die Autorin eine echte „Pionierinnenarbeit“ geleistet. Nicht, weil sie völlig Neues entdeckt, sondern weil es ihr auf eine eindrückliche Art und Weise gelingt, bereits weitgehend Bekanntes so zu systematisieren, dass sie den Weg zu einer empirischen Überprüfbarkeit der bisherigen Theoriediskussion ebnet. Völlig unverständlich bleibt der Rezensentin, warum Wolffram an diesem Punkt aufhört. Die Ergebnisse ihre Interviewanalysen bringen streng genommen keine neuen Erkenntnisse und zeigen sich über weite Strecken redundant angesichts der vorher geleisteten Theoriearbeit. Eine quantitativ-empirische Verifizierung ihres Kategorienschemas sowie die Beantwortung der sich anschließenden Fragen nach der individuellen Wahrnehmung der Belastungssituationen und den Bewältigungsstrategien bleiben unerledigt. Das heißt: fast unerledigt. Im Anhang nämlich findet der/die geneigte Leser/-in plötzlich Ergebnisse aus der quantitativen Erhebung, die z. T. so spannend sind, dass sie nicht nur ausreichend Diskussionsstoff liefern, sondern zahlreiche Ansatzpunkte für weitere Forschungsfragen eröffnen. Mit Bedauern muss deshalb festgehalten werden, dass Wolffram mit dieser Publikation ihr eigenes Potential offensichtlich nicht ausgeschöpft hat oder aber, dass sie schlecht beraten war, die quantitativen Ergebnisse nur als „Anhängsel“ zur vorliegenden Studie zu betrachten.

Auch Christine Wächter bricht (erwartungsgemäß) nicht zu völlig „neuen Ufern“ auf. Ihre institutionenbezogene Auswertung der Interviews bringt aber, neben Altbekanntem, interessante Ansätze zum Weiterdenken hervor. Anregend sind vor allem die Abschnitte, in denen sie sich mit den Gedanken und Einstellungen der „Buben“ zu bzw. über Mädchen in technischen Schulen, der Interaktion im Unterricht, den Ausbildungsinhalten und der Didaktik auseinandersetzt. Spannend ist auch der Teil, in dem sich Wächter mit der Frage, warum sich Mädchen für die HTL entschieden haben, und den Reaktionen ihres sozialen Umfeldes auf dieses Schulwahlverhalten beschäftigt. Die Ergebnisse der Interviews aus der Fachhochschule oder den Betrieben hingegen bieten wenig neue Ansatzpunkte. Hier können sich die Leser/-innen noch einmal die hinreichend bekannten männlichen „Vorurteile“ und strukturellen Rahmenbedingungen vergegenwärtigen sowie deren Auswirkungen auf den Studienalltag und Berufseinstieg und -verlauf von Frauen.

Weitere Themen sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Hemmnisse weiblicher Karrieren und mögliche Ansätze zur Frauenförderung. Interessant wird es noch einmal bei dem Abschnitt, in dem die Ratschläge der jeweiligen Zielgruppen für 14jährige Mädchen, die vor der Schul-/Berufswahl stehen, vorgestellt werden. Hier wird noch einmal die ganze Bandbreite der „pro und kontra“-Argumente und der Erfahrungs- und Einstellungsambivalenzen deutlich. Ein Gewinn dieser Publikation ist sicherlich das im letzten Kapitel dargestellte Manual. Dieses fasst die im Frauen-Technologie-Programm Villach gewonnenen Erfahrungen zusammen und hebt den Maßnahmenkatalog, einschließlich seiner einzelnen Ablaufschritte und Methoden auf eine von regionalen Rahmenbedingungen (fast) unabhängige Ebene. Die wenigen österreichischen „Besonderheiten“, können mit etwas Phantasie ohne weiteres auf andere, z.B. deutsche, Rahmenbedingungen übertragen werden.

Ein kurzes Fazit

Lesenswert sind die beiden Bücher für all diejenigen, denen der Themenkomplex „Mädchen/Frauen und Technik“ am Herzen liegt, allemal. Zu hohe Ansprüche an einen gänzlich neuen Erkenntnisgewinn dürfen – trotz der innovativen Fragestellungen beider Studien – jedoch nicht gestellt werden. Hochschulforscher/-innen finden bei Andrea Wolffram vielversprechende Denkanstöße, bei denen es sich lohnen würde, sie in anderen Studien weiter zu verfolgen. Christine Wächter hingegen bietet bildungs- und arbeitsmarktpolitisch interessierten Akteuren und Akteurinnen aus der Gleichstellungspraxis interessante Anregungen zur Reflektion und Gestaltung der eigenen Arbeit.

URN urn:nbn:de:0114-qn042024

Dr. Anina Mischau

Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (IFF), Universität Bielefeld

E-Mail: anina.mischau@uni-bielefeld.de

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