Ein feministischer Blick auf die Medienkultur

Rezension von Tanja Maier

Johanna Dorer, Brigitte Geiger (Hg.):

Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft.

Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung.

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002.

378 Seiten, ISBN 3–531–13702–6, € 28,90

Abstract: Der vorliegende Sammelband gibt einen differenzierten Einblick in die Diskussionen innerhalb der medien- und kommunikations-wissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung. Es werden in den einzelnen Beiträgen nicht nur Entwicklungen, aktuelle Ansätze und Befunde dargestellt, sondern darüber hinaus auch Perspektiven und Erkenntnismöglichkeiten für feministische Medien- und Kulturanalysen entwickelt.

Die feministische Kommunikations- und Medienforschung in Österreich – wie sie am „Wiener Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ gelehrt wird – in ihrer Vielfalt einem größeren Fachpublikum bekannt zu machen, ist Anspruch der vorliegenden Aufsatzsammlung (vgl. S. 12). Während im angloamerikanischen Raum feministische Theorien einen festen Platz in der Medien- und Kommunikationsforschung einnehmen, waren Genderfragen in den etablierten Medien- und Kulturtheorien an deutschsprachigen Universitäten bis Anfang der 1990er Jahre eher eine Randerscheinung. Nichtsdestotrotz hat sich auch in der deutschsprachigen Medien- und Kulturwissenschaft nunmehr eine vielfältige Frauen- und Geschlechterforschung entwickelt, die in alle Teilbereiche und Disziplinen reicht (vgl. S. 13). So hat diese die etablierten Medien- und Kommunikationstheorien gerade auch mit der Auslassung der Kategorie Geschlecht produktiv konfrontiert und „überholte Modellvorstellungen der Mainstream-Forschung durch geschlechtersensitive Theorien und Modelle“ (S.12) ersetzt.

Das Thema des Buches Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft umfasst laut Johanna Dorer und Brigitte Geiger sowohl die Forschungsfelder der kommunikationswissenschaftlich orientierten Frauenforschung als auch die der Geschlechterforschung. Damit lassen sich nach Meinung der beiden Herausgeberinnen die verschiedenen Zugänge und Entwicklungen der feministischen Medienforschung adäquater fassen (vgl. S. 10). Grundlegend für die feministische Medien- und Kommunikationsforschung insgesamt sei die Annahme, dass die Kategorie Geschlecht ein konstitutiver Bestandteil der Medienkultur ist: Sie strukturiert die Produktionsverhältnisse und die Medientexte ebenso wie ihre Aneignung durch die Rezipierenden. Geschlechterverhältnisse und -ideologien sind somit in jedem der Untersuchungsfelder der Medienforschung grundsätzlich wirksam, weshalb sie alle kultur- und medienwissenschaftlichen Fragestellungen betreffen müssen (vgl. S. 11).

Insgesamt 19 Beiträge werden in den folgenden fünf Themenbereichen diskutiert: „Ansätze und Perspektiven“, „Öffentlichkeit und Journalismus“, „Rezeptions- und Fernsehforschung“, „Filmforschung“ sowie „Neue Technologien“.

Im Folgenden sollen daraus nun einige zentrale Aspekte und Themen vorgestellt werden.

(Neu-) Bestimmungen

In ihrem Beitrag „Diskurs, Medien und Identität“ plädiert Johanna Dorer dafür, „die Medienproduktion und den Medientext wieder verstärkt als strukturierende Kraft im medialen und gesellschaftlichen Kommunikationsprozess zu berücksichtigen“ (S. 56). Die Auslassung dieser beiden Ebenen sei ein aktuelles Problem innerhalb der deutschsprachigen Cultural Studies. So solle sich vielmehr mit der Dekonstruktion von Normen im gesamten Prozess der Medienkommunikation beschäftigt werden (vgl. S. 65). Untersucht werden müssten demnach drei Formen von Repräsentationsstrategien: „Normierungsstrategien“, „Ausschließungsstrategien“ sowie „Strategien der Neuartikulation“ (S. 63). Nach Dorer gilt es also immer auch, die Neuformulierungen von Geschlechternormen zu eruieren, um „Geschlechtergrenzen zu verschieben bzw. zu verwischen“ (S. 63). Folglich bietet die Vorgehensweise der Autorin auch die Möglichkeit, die in der Rezeptionsforschung viel diskutierte Frage nach der Handlungsmacht der Rezipierenden anzuschließen. Denn gesellschaftliche Machtverhältnisse existieren in den kulturellen Praktiken der Rezipierenden, werden durch diese kulturellen Praktiken wiederhergestellt und können nicht zuletzt durch kulturelle Praktiken verschoben werden.

Um dem dekonstruktivistischen Anspruch feministischer Forschung gerecht werden zu können, fordert Waltraud Ernst in ihrem Beitrag dazu auf, die vielfältigen Bedeutungen von Geschlecht in feministischen Medienanalysen zu berücksichtigen. Sie schlägt vor, die Kategorie Geschlecht in Geschlechteridentitäten, Geschlechterpraxen, Geschlechterkörper und Geschlechterstrukturen zu differenzieren sowie diese „Multidimensionalität von Geschlecht“ (S. 34) in der Forschungspraxis zu berücksichtigen. In einem solchen Geschlechterbegriff sieht die Autorin für die feministische Medienforschung die Möglichkeit, die „geschlechtliche Vielfältigkeit“ (S. 49) darzustellen, anstelle immer wieder selbst dichotome und heteronormative Vorstellungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten durch die eigene Forschungspraxis festzuschreiben (vgl. S. 33 f.).

Chancen der Transdisziplinarität

Gemeinsam ist allen Beiträgen des Bandes eine inter- beziehungsweise transdisziplinäre Perspektive sowie eine multiperspektivische Herangehensweise. In dem einzigen Beitrag des Bandes zum Thema „Neue Technologien“ beschäftigt sich Irmtraud Voglmayr mit Internet-Aneignungsprozessen älterer Frauen, die sie in Beziehung setzt zu medialen und gesellschaftlichen Diskursen zu Alter, Geschlecht und Körper. Aus dieser Perspektive kommt die Autorin zu dem Ergebnis, das Internet bedeute für ältere Frauen die Möglichkeit zur Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen, es diene der Generationenkommunikation und würde als Beziehungsmedium genutzt (vgl. S. 366 ff.). In einer solchen Berücksichtigung von Mikro- und Makroperspektive sieht auch Brigitte Hipfl wichtige Impulse für eine „fruchtbare Weiterentwicklung“ (S. 211) der Rezeptionsforschung. Sie betont dabei die Notwendigkeit, sowohl die kulturellen Praktiken der Rezipierenden zu berücksichtigen wie auch die ideologischen Wirkungen der Medienprodukte.

Durchquerungen

Im Bereich Öffentlichkeiten stellt Brigitte Geigers Beitrag „Geschlechterverhältnisse als Medienereignisse“ eine Verbindung von Aktivität und Struktur in der Analyse medialer Geschlechterdiskurse vor: nämlich hinsichtlich der Frage nach den Möglichkeiten einer emanzipatorischen Aneignung von Medien einerseits gegenüber einer Anpassung beziehungsweise Affirmation anderseits. Am Beispiel der Berichterstattungen zum österreichischen „FrauenVolksBegehren“ von 1997 stellt sie die Chancen, aber auch Probleme einer an die Bedingungen des dominanten medialen und politischen Systems angepassten frauenbezogenen Politik zur Debatte (vgl. S. 119). Die Autorin kann dabei zeigen, wie sich das „FrauenVolksBegehren“ mit einer an das mediale System angepassten politischen Praxis selbst in Herrschaftsverhältnisse einarbeitet. Geschlechterverhältnisse vollziehen sich demnach nicht nur von Seiten medialer Berichterstattung, sondern auch auf Seiten feministischer Politiken und Praxen.

Resümee

Insgesamt liegt mit dem Sammelband eine Veröffentlichung vor, die ihrem Anspruch, aktuelle Ansätze, Befunde und Potentiale der feministischen Medien- und Kommunikationsforschung zu diskutieren, in gelungener Weise gerecht wird. Die editorische Gestaltung ermöglicht einen guten Einblick in die verschiedenen feministischen Forschungsbereiche medien- und kommunikationswissenschaftlicher Analysen. Die einzelnen Beiträge vermögen zudem aufzuzeigen, wie differenziert sich die feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft in den letzten zwanzig Jahren ausgestaltet hat. Verdeutlicht wird nicht nur die Notwendigkeit, Geschlechterverhältnisse und -ideologien als soziales und kulturelles Machtverhältnis in der gesamten Bandbreite kultureller Prozesse wahrzunehmen. Vielmehr versuchen die Beiträge auch immer, Konzepte und Theorien der Geschlechterstudien in eine avancierte medienwissenschaftliche Analyse einzubeziehen und für deren Weiterentwicklung nutzbar zu machen.

Der Band macht allerdings auch deutlich, dass Fragen nach „Männlichkeiten“ noch immer in weiten Teilen der feministischen Kultur- und Medientheorie übergangen werden. Gerade hinsichtlich „neuer Männlichkeiten“, die sich derzeit neben den dominanten Männlichkeitsmythen in den Medien beobachten lassen, erscheint mir die Frage nach den Bedeutungen und Funktionen dieser Repräsentationen jedoch zwingend. Es fehlt mir letztlich auch eine intensivere Auseinandersetzung mit der Queer Theorie als Herausforderung für die feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft.

URN urn:nbn:de:0114-qn041079

Tanja Maier

Kolleg Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien, Universität Oldenburg

E-Mail: tanja.maier@mail.uni-oldenburg.de

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