Wenn Männer defekte Disketten und Frauen sich selbst beschuldigen

Rezension von Katja Steinhoff

Oliver Dickhäuser:

Computernutzung und Geschlecht.

Ein Erwartungs-Wert-Modell.

Münster: Waxmann 2001.

166 Seiten, ISBN 3–8309–1072–X, € 25,50

Abstract: In präziser empirischer und theoretischer Arbeit untersucht Oliver Dickhäuser geschlechtsspezifische Computernutzung. Nach Sichtung des gegenwärtigen Forschungsstandes entwickelt er ein entsprechendes Erklärungsmodell inklusive Messinstrumentarium, das in vier Studien geprüft und zur Anwendung gebracht wird. Mit einem überzeugenden Forschungsdesign leistet Dickhäuser einen grundlegenden Beitrag zu einer nach wie vor aktuellen Frage.

Um es gleich vorweg zu sagen: Die vorliegende Untersuchung ist in der präzisen Argumentation nicht gerade fesselnd – dafür aber extrem gründlich, untersuchungstechnisch geradezu „wasserdicht“ und in ihrer Distanz zu jeglichen Spekulationen und vermuteten Zusammenhängen empirisch überzeugend. Hier werden Beweise angestrebt: Theorien werden operationalisiert, Stichproben kreuzvalidiert, signifikante Korrelationen eruiert, Pfade analysiert und Hypothesen fein säuberlich verifiziert.

Wenn auch nicht als Bettlektüre, kann das Buch vor allem jenen empfohlen werden, die die Entwicklung eines Forschungsdesigns auf Basis der zum Forschunggegenstand vorhandenen Publikationen, seiner Überprüfung und Anwendung genau nachvollziehen wollen. Alle Erhebungsskalen, Messwerte usw. sind dokumentiert. Auch an all jene, die nicht ins Detail gehen wollen, ist mit leicht zugänglichen Zusammenfassungen gedacht worden.

Grundsätzliches

Der in der Reihe „Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie“ bei Waxmann erschienene Band Computernutzung und Geschlecht stellt die Forschungsergebnisse Oliver Dickhäusers vor. Die Auswertung früherer Untersuchungen ergibt, dass (Hoch-)Schülerinnen Computer weniger intensiv nutzen und weniger positive Einstellungen in Bezug auf Computer haben als ihre männlichen Mitschüler. In vier Studien zeigt Dickhäuser, dass diese Befunde mittels eines sogenanntes Erwartungs-Wert-Modells erklärt werden können.

Ziel von Dickhäusers Arbeit ist es, einen grundlegenden Beitrag zur Erklärung der geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Computernutzung zu liefern. Um dies zu erreichen, unterzieht er in einem ersten Schritt die bestehenden Erklärungsmodelle einer Kritik. Dabei setzt er den Maßstab einer konsequenten empirischen Überprüfung theoretischer Konzepte an und bemängelt in erster Linie methodische Unzulänglichkeiten, wie etwa inadäquate Operationalisierung der zu Grunde liegenden Modelle.

Theoretische Einbettung

Um diesem Maßstab in der eigenen Untersuchung zu genügen, sucht Dickhäuser nach einem theoretischen Fundament, das in der Lage ist, die beobachteten Geschlechterdifferenzen zu erklären und methodischen Ansprüchen Rechnung tragen kann. Er findet es in einer Adaption des „model of achievement-related choices“ der Arbeitsgruppe Eccles (1984; 2000). Dieses an den Untersuchungsgegenstand angepasste Erwartungs-Wert-Modell geht davon aus, dass „die Wahl einer bestimmten Aktivität umso wahrscheinlicher ist a) je höher die Erwartung des Individuums ist, bei dieser Aktivität ein bestimmtes Ziel (im Leistungskontext: Erfolg) zu erreichen und b) je höher der Wert des Ziels für das Individuum ist“. (S. 35)

Ein solches aus der Motivationspsychologie stammendes Modell erscheint Dickhäuser fruchtbar, weil die beobachteten Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich der Computernutzung vor allem auf Wahlentscheidungen zurückzuführen sind. Dabei sei darauf hingewiesen, dass hier keineswegs von einer „freien Wahl“ ausgegangen wird; vielmehr wird angestrebt, einflussnehmende Determinanten zu eruieren. Zentral angenommene Einflussfaktoren sind dabei Einstellung und Verhalten von Sozialisationspersonen, kulturelles Milieu, vorausgegangene Computererfahrungen, sowie das generelle und computerspezifische Selbstkonzept. Ob diese in vielfacher Wechselbeziehung stehenden Größen tatsächlich Einfluss auf das geschlechtsspezifische Verhalten am Computer haben, wird in vier Studien untersucht.

Die Studien

Die ersten beiden Studien dienen der Qualitätsprüfung des entwickelten Messinstrumentariums und liefern zufriedenstellende Ergebnisse hinsichtlich Reliabilität und Messgenauigkeit. In der dritten Untersuchung wird geklärt, „ob sich in den in das Modell eingehende[n] Variablen wie erwartetet Geschlechtsunterschiede zeigen, die durch das Modell erklärt werden können.“ (S. 80). Während in dieser dritten Studie mit fiktiven Szenarien operiert wird, untersucht eine vierte Studie die tatsächliche Wahl von Computerkursen bei Schüler/-innen.

Die konkreten Ergebnisse zeigen insgesamt, dass ein modifiziertes Erwartungs-Wert-Modell in der Lage ist, geschlechtsspezifische Computernutzung zu erklären. Hier bietet sich eine Anschlussmöglichkeit für weitere Untersuchungen.

Fest steht, dass Frauen Computer nach wie vor weniger intensiv nutzen und Misserfolgssituationen eher auf „mangelnde Kenntnisse“ (S. 137) zurückführen als Männer. Männer vermuten stattdessen eher eine „defekte Diskette“ (S. 137). Herauszufinden, ob die vorgeschlagenen „Reattributionstrainings“ (vgl. Heller, Ziegler, Schober & Dresel 2000, Ziegler & Schober 1997) Abhilfe schaffen können, bleibt weiteren Studien überlassen.

URN urn:nbn:de:0114-qn041063

Katja Steinhoff

FU Berlin/Erziehungswissenschaften/Soziologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaften

E-Mail: kastein@zedat.fu-berlin.de

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