Weiblicher Homunculus und Medialisierung des Körpers

Rezension von Natascha Ueckmann

Astrid Deuber-Mankowsky:

Lara Croft – Modell, Medium, Cyberheldin.

Das virtuelle Geschlecht und seine metaphysischen Tücken.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001.

109 Seiten, ISBN 3–51811–745–9, € 8,50

Abstract: Astrid Deuber-Mankowskys Studie bietet spannende Einblicke in Fragestellungen der Medien- und Cybertheorien sowie in die aktuelle Forschung der Gender Studies. Sie bedient sich des Phänomens Lara Croft, um an ihm gegenwärtige Theorien (Judith Butler, Teresa de Lauretis, Marshall McLuhan, Slavoj Žižek, Jacques Lacan) zu diskutieren und auf ihre Anwendbarkeit zu erproben. Das besondere Anliegen des vorliegenden Essays ist es, neue Kommunikationsverhältnisse der postmodernen Gesellschaft aufzuzeigen, die traditionelle Geschlechterverhältnisse reproduzieren.

Wissenschaftliche Studien, die sich einem populären Gegenstand widmen, haben stets ihren ganz besonderen Reiz, der gerade in dieser Ambivalenz angelegt zu sein scheint. Die Mischung von Alltagswirklichkeit und wissenschaftlicher Theorie lässt Deuber-Mankowskys Essay zu einem wahren Lesevergnügen werden. Theoretische Reflexion muss sich hier im Kontext einer digitalisierten und simulierten Welt behaupten. Auf dem Weg in eine digitale Weltkultur, die sich wie bei Lara Croft über Pop-Kultur vermittelt, drängen sich zunächst eine Reihe brisanter Fragen auf, denn scheinbar bieten gerade die Neuen Medien posthumanen Existenzen einen geeigneten Kontext: Wie konnte eine dreidimensionale Computerfigur, ein schlichter „Pixelbrei“ zum weltberühmten Superstar und zur phantasieanregenden Traumfrau werden? Warum übernahm gerade eine weibliche Figur die Funktion einer „cultural icon“ der Mediengesellschaft? In welcher Weise überschreitet das Medium Lara Croft die Grenzen zwischen den Geschlechtern und zwischen Realität und Virtualität? Die Autorin nähert sich diesen zentralen Fragen entlang einer Analyse der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Phänomens Lara Croft, und sie führt neben ökonomischen Gründen vor allem mediale und genderspezifische Ursachen an, die zur Verwandlung einer virtuellen Spielfigur in eine globale Kultfigur beigetragen haben.

Auf ökonomischer Ebene war sicherlich die Multinationalität der Unternehmergruppe Eidos, die für den Vertrieb und das Marketing der Spiele verantwortlich ist, maßgeblich für die weltweite Präsenz von Lara Croft. Die Kompatibilität von zwei Hardwaresystemen (auf dem Bildschirm des Rechners und konsolengesteuert auf dem Fernsehschirm) und der Durchbruch der 32-Bit-Plattform und der 3D-Grafikkarten machten insbesondere den Rechner zu einer idealen Hardwareplattform für grafisch hochwertige Spiele.

Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang, dass Lara Croft nicht nur als Spielfigur fungiert, sondern in besonderer Weise über das Medium der Werbung global vertreten ist. An dieser Stelle wäre es erhellend gewesen, Näheres über die Marketingpolitik für Lara Croft zu erfahren.

Ein weiterer Grund für den universellen Erfolg lag in dem Zusammenwirken unterschiedlicher Medien wie Presse, Hörfunk, Fernsehen, Mode, Popmusik, Comics, Computerspiele, Kino, Werbung und insbesondere dem Internet. „Als Sinnbild der Medialität wirkte sie [Lara Croft] zugleich als Zirkulationsmittel, das die Medien und die durch sie konstituierten Öffentlichkeiten auf einen Nenner zu bringen half.“ (S. 25) Denn ungeachtet der differenten Medien, über die man sich einen Zugang zur Welt erschließt, vermittelt das Reden über Lara Croft, die Sicherheit, „dass man dazu – und das heißt, auch zu der neuen Mediengesellschaft gehört“ (S. 26). So sind selbst Menschen über diese Figur informiert, ohne je mit einem Computerspiel in Kontakt gekommen zu sein. „Lara Croft [fungiert] als eine Art Gleitmittel, das die Medien zu einer Mediengemeinschaft verbindet.“ (S. 86)

Zentral war bei der Entstehungsgeschichte der Spielfigur Lara Croft darüber hinaus auch die Einverleibung des Mediums Film: „Über die weibliche Heldin knüpft es [das Spiel] an ein vertrautes Medium und eine bekannte Rezeptionshaltung an“ (S. 55), erfüllt doch der weibliche Star als „Blickfang“ die traditionelle (männliche) Zuschauererwartung. Aus genderspezifischer Sicht ist es jedenfalls kein Zufall, dass das Medium Lara Croft als weiblich imaginiert wird. Zum einen wurde durch die Änderung der Geschlechtsidentität der größtmögliche Abstand hervorgerufen zu der von George Lucas entworfenen Figur Indiana Jones und anderen, ihr ähnlichen Heldentypen (und damit wurde auch eventueller Ärger vermieden betreffs des Copyright). „Während alle männlichen Figuren unweigerlich wie Arnold Schwarzenegger wirkten, habe sich allein eine Frau aus der Masse hervorgehoben“.(S. 34) Zum anderen bedient Lara Croft gleichzeitig männliche und weibliche Ermächtigungsphantasien und gestattet dem User einen einzigartigen voyeuristischen bzw. narzisstischen Lustgewinn: Für Jungen/Männer verkörpert sie das Objekt der Begierde, für Mädchen/Frauen repräsentiert sie ein attraktives, weil gewandeltes Frauenbild. Es ist die besondere Kunst Lara Crofts, „beiden Geschlechtern ihr ‚wahres‘, ihr ‚besseres Selbst‘ widerzuspiegeln“. (S. 61)

„Alter Wein in neuen Schläuchen“?

Doch dabei ist ein dramatischer „Verlust der Oberfläche“ (Slavoj Žižek) und der Distanz zu verzeichnen. Gemeint ist damit ein Verlust der Grenze zwischen sich und dem gespiegelten Bild, kulminierend in einer Verschmelzung der User mit dem neuen Medium. In dieser Ununterscheidbarkeit „verliert sich schließlich das Subjekt selbst, wie es die Geschichte von Narziss so eindringlich vorführt“ (S. 73) und sitzt dem Phantasma einer erfüllten Realität auf, frei von den Konfrontationen mit den eigenen Grenzen. Und anstelle einer sexuellen Differenz, verstanden als „unruhestiftenden Ort“ und als offene „unabschließbare Frage“ (Judith Butler, Geneviève Fraisse), reetabliere das Medium Lara Croft durch die „Medialisierung“ und „Entgeschlechtlichung“ der Körper den hierarchischen Geschlechterdualismus. (vgl. S. 21 f.) Die Geschlechterhierarchie bleibt unangetastet, denn Lara Croft ist mit ihrer Abenteuer- und Angriffslust und ihrem ausgeprägten Wunsch nach Autonomie „eine Frau mit männlichem Charakter“. (S. 63) Ihr Frausein reduziert sich ausschließlich auf ihre üppigen Proportionen. „So reproduziert das Phänomen Lara Croft auch jenes Gesetz, das Weiblichkeit an den Körper bindet, mehr noch, mit dem Körper identifiziert. Bedenkt man, dass es sich bei der Figur um eine ‚virtuelle‘ und damit ganz und gar ‚unkörperliche‘ Gestalt handelt, grenzt dies wahrlich an ein Wunder.“ (S. 63)

Von der Traumfrau zur Allegorie

Die Inszenierung von Lara Croft als Traumfrau lässt sie zudem jenseits der Realität erscheinen und erhebt sie über die Masse: „Die Traumfrau ist unvergleichlich, sie ist eine Spekulation, […] nicht von dieser Welt und gerade deswegen [begründet sie] die Zukunft als ‚Realität‘. ‚Reale‘ Frauen sind dagegen viele, einzelne, unterschiedliche Frauen. […] Der Bann dieser imaginären Traumfrau gründet in der gleichen Logik, mit der sie es vermag, das Begehren an sich zu binden: im Versprechen, den Wunsch nach einer ‚idealen‘ Realität zu erfüllen. Dieser Logik entspringt nun eine Konkurrenz zwischen der Traumfrau und den einzelnen Frauen um die ‚wahre‘ Realität. Sie hat eine Entwertung der Realität der vielen Frauen zur Folge.“ (S. 37 f.) Teresa de Lauretis auf deren Überlegungen Deuber-Mankowsky sich bezieht unterscheidet diesbezüglich die Frau im Singular (woman) von den Frauen im Plural (women). Lara Croft fungiert demnach als eine moderne und digitale weibliche Allegorie, die zum Zeichen für anderes geworden ist. Dies ist nur möglich durch eine vorhergehende Entleerung, die zur Entindividualisierung und Enthistorisierung der Frau führt. Zurück bleibt eine leere Hülle mit überirdischen weiblichen Attributen.

Eine Vertiefung von Donna Haraways Rede vom „Cyborg an der Schnittstelle vom Automaton und Autonomie“ (S. 59) hätte die sonst so überzeugend formulierte Studie abgerundet und weitere Lektüren angeregt. Denn Haraway sieht gerade in der Hybridisierung von Organismus und Maschine, im Cyborg-Entwurf, neue Handlungsspielräume für Frauen. Posthumane Existenzen, die die Grenze von Gewachsenem und Gemachtem verwischen, könnten von Vorteil sein, wenn wir unser dichotomes Denken von Natur/Technik, von Humanem/Nicht-Humanem aufgeben und gegen eine hybride Weltsicht eintauschen.

Doch Haraways „Cyborg-Manifest“, in welchem sie eine Welt jenseits der Geschlechterdifferenz und den damit einhergehenden kulturellen und biologischen Ein- und Ausgrenzungsstrategien skizziert, bewegt sich jenseits des Phänomens Lara Croft, da dieser Homunculus des Computerzeitalters keineswegs auf eine umfassende Reorganisation des Geschlechterverhältnisses abzielt, sondern die dualistische Geschlechtermetaphysik bloß auf einem höheren Level aufleben lässt.

Ich kann mich abschließend nur Astrid Deuber-Mankowskys Parole anschließen: „Wir sehen, auch die Medientheoretiker sind gut beraten, sich mit den Gender Studies zusammenzutun.“ (S. 85).

URN urn:nbn:de:0114-qn041023

Dr. Natascha Ueckmann

Hochschulassistentin im Fach Romanistik, Universität Bremen

E-Mail: nueckmann@gmx.net

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