Und wenn sie nicht getötet wurden, dann hexen sie noch heute?

Rezension von Angela Schwarz

Wulf Köpke, Bernd Schmelz (Hg.):

Hexenwelten.

Bonn: Holos 2001.

235 Seiten, ISBN 3–86097–466–1, € 17,38

Abstract: Der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Hamburger Museum für Völkerkunde (2.5.2001 – 1.4.2002) nähert sich dem Thema „Hexen“ in sieben Beiträgen und den Ausstellungstexten zu den im Museum gezeigten zwanzig Themen. Trotz des mentalitätsgeschichtlichen Einstiegs von Peter Dinzelbacher und des unverzichtbaren Blicks in den Umgang mit sogenannten „Hexen“ in der Frühen Neuzeit werden die in Vergangenheit und Gegenwart angesiedelten Hexenwelten nicht primär historisch oder kulturhistorisch analysiert. Auch die Ansätze der Geschlechterforschung scheinen bestenfalls gelegentlich durch. Vielmehr richtet sich der Blick des Völkerkundlers auf das Phänomen und seine Wahrnehmung, um etwas über die Faszination von Hexerei und magischem Denken zu erfahren, die dem säkularen, wissenschaftlichen Denken der heutigen Zeit so augenfällig widerspricht. Folglich nimmt auch die Erscheinung der sogenannten „Neuen Hexen“ in Westeuropa und den USA breiten Raum ein, denen, wie bei den vorgeblichen „Hexen“ der Frühen Neuzeit, Frauen und Männer zugerechnet werden. Die „Neuen Hexen“ werden hier als Erscheinungsform einer neuen Spiritualität, als Vertreterinnen und Vertreter einer neuen Religion in den Blick genommen. Leserschaft wie das Publikum der Ausstellung, – – gedacht ist weniger an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als an allgemein interessierte Zeitgenossen – sind aufgefordert, sich anhand der gebotenen Informationen die Frage zu beantworten, ob es Hexen – oder wohl genauer das, was die einzelne Betrachterin oder der einzelne Betrachter darunter versteht – wirklich gibt.

Was ist eine Hexe? Vorstellungen in Kirche, Staat und Alltagswelt in der Frühen Neuzeit

Schon der eher kurze Einblick in die Deutungen des Phänomens zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert, wie ihn die Beiträge von Peter Dinzelbacher und Roswitha Rogge bieten, sensibilisiert für die bis in die Gegenwart fortwirkende Ambivalenz in der Einschätzung von sogenannten „Hexen“ und die Möglichkeiten, den Vorwurf der Hexerei in Alltagswelt, Kirche und Staat zu instrumentalisieren. Analog zur Ausweitung des Hexenwahns erhöhte sich vor allem seit dem späten 15. Jahrhundert die Skepsis der Amtskirche gegenüber Erscheinungen mystischen Erlebens. Die politische und ökonomische Unsicherheit, die konfessionelle Spaltung ebenso wie das veränderte geistige Klima führten in jener Zeit dazu, dass paranormale Verhaltensweisen immer seltener als Ausdruck der Gottesschau und immer häufiger als Beweis der Teufelsanbetung gedeutet wurden. Ausgerüstet mit der Macht, eine Person als Heilige oder Hexe zu definieren, konnte sich der Wille der Kirchen, das Charismatikertum zu kontrollieren und letztlich auszuschalten, durchsetzen. Lange bevor die Aufklärung Mystizismus auf medizinisch erklärbare Vorgänge zu reduzieren und die Definition somit überflüssig zu machen suchte, war die Beschreibung einer Person als Gottes- oder Teufelsanbeter eine Frage der Interpretation, ein Konstrukt. Das tritt etwa in den Fällen von Hexenverfolgung hervor, die Roswitha Rogge aus dem frühneuzeitlichen Hamburg zusammenstellt. Obwohl es dort vergleichsweise wenige Prozesse wegen Hexerei gab, konnte doch auch in der Hansestadt der Gelehrtendiskurs über Hexen auf verbreitete Vorstellungen über zaubernde Frauen und ihren vermeintlichen Schadenzauber zurückgreifen. Der Vorwurf der Zauberei, so zeigen es die zitierten Fallbeispiele, wurde als Mittel von Frauen gegen andere Frauen dazu genutzt, Konkurrentinnen auszuschalten, also als ein Instrument der Konfliktregulierung in einer Situation, in der das gültige Eherecht Frauen eine Lösung auf instutitionellem Weg verweigerte. Wer als eine „Hexe“ anzusehen war, wurde damit von Fall zu Fall neu bestimmt.

Die Heterogenität des Begriffsverständnisses von der Hexe tritt in den ethnologisch ausgerichteten Beiträgen über die Verbindungen zum Schamanismus noch markanter hervor. Claudia Müller-Ebeling zeigt anhand einiger typischer Hexendarstellungen in der europäischen Kunst, dass das eher mit außereuropäischen Kulturen verbundene Konzept des Schamanismus, die Idee von der Vermittlung zwischen Kultur und Natur, auch für die frühneuzeitlichen Hexenbilder Bedeutung besaß. Elemente einer vorchristlichen Kultur bestanden fort. In der visuellen Annäherung an das Phänomen häuften sich seit dem 15. Jahrhundert die Bilder von einer verkehrten Welt. Der Vorwurf der Hexerei fungierte in dem Kontext als ein Mittel, mit dem sich schamanische Praktiken, von der Verwendung psychoaktiver Kräuter bis zum ekstatischen Tanz, diffamieren ließen.

Hexenbilder und Hexen heute

Das Hexenbild, das heute wohl die größte Verbreitung besitzt, ist das von der knochigen, alten Frau aus dem Grimmschen Märchen von Hänsel und Gretel. Sabine Beer zeichnet in ihrem Beitrag die Verbindungslinien zwischen vorchristlichem Brauchtum, frühneuzeitlichen Hexenvorstellungen, Hexenbildern im Gefolge der Brüder Grimm und der uns heute so vertrauten Verwandlung der Hexe in eine weihnachtlich-brauchtümliche Schreckgestalt nach. Sie arbeitet heraus, dass das Hexenbild im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest verschiedene Funktionen erfüllen kann: Mit der Figur der „Hexe“ würden gefährliche Naturkräfte personifiziert, die dadurch gebannt werden können; sie stelle eine verharmloste Version dar, die in vielfältigen Formen kommerziellen Zwecken zugeführt werden kann; schließlich bringe sie eine Sehnsucht nach „Wiederverzauberung der Welt“ zum Ausdruck, die in unserer von Wissenschaft und Technik dominierten Gesellschaft weit verbreitet sei. Einmal mehr erschließt sich hierin die große Bandbreite von Deutungsmöglichkeiten, die mit dem Konstrukt von der „Hexe“ einhergehen.

Nach diesen Hinweisen auf ein vielgestaltiges Phänomen gewinnt die Frage nach der Darstellung im Museum einen noch größeren Reiz. Wie lässt sich ein so heterogenes Konzept aufbereiten, zumal dann, wenn man das einbeziehen will, was hier als aktuelle Ritualszene vor allem in Deutschland angesprochen wird? Der Beitrag von Bernd Schmelz geht mit Bezug auf die sogenannten „Neuen Hexen“ nur ausschnitthaft darauf ein. Zwar stellt er die „Neue-Hexen-Bewegung“ in Deutschland und Großbritannien vor. Ebenso liefert er einen Überblick über die museale Beschäftigung mit dem Thema in den letzten rund zwanzig Jahren, so dass sich die Präsentation im Hamburger Museum für Völkerkunde in die zahlreichen früheren Annäherungen an das Thema einordnen lässt. Es werden auch ethnologische Forschungsdefizite aufgezählt und Fragen entworfen, wie sie sich beheben ließen. Eine Antwort auf die Frage nach adäquater Präsentation oder zumindest ihre Erörterung bleibt jedoch aus. Ebenso wird bestenfalls angedeutet, welche Formen jene Tendenz konkret annahm, Themen im Museum zu inszenieren, eine Tendenz, die sich offensichtlich für historische wie völkerkundliche Präsentationen feststellen lässt. Wie etwa lösten die Macher der genannten Ausstellungen von Regensburg über Saarbrücken bis Hamburg die Problematik?

Der letzte Beitrag von Donate Pahnke stellt das Beispiel der „Reclaiming Community“ als moderne Form des „Hexenwesens“ vor. Auch wenn man sich der Darstellung anschließt, dass es sich dabei um eine eigenständige Religion handelt, die sich durch eine individualisierte Spiritualität und eine große Vielfalt an Ritualen und Praktiken auszeichnet, bleibt doch offen, inwieweit sich wirklich von Kontinuitätslinien zwischen den heutigen Ritualfrauen und Ritualmännern und denen erkennen lassen, die zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert als Hexen bezeichnet und in großer Zahl getötet wurden.

Dem Band, der immerhin den Bogen von Geschichte zu Völkerkunde, vom späten Mittelalter zur High-Tech-Welt des dritten nachchristlichen Jahrtausends spannt, hätte es gut getan, wenn die Wandlungen und Unterschiede im Verständnis des Begriffes „Hexe“ eingangs diskutiert worden wären. Wie sollte man sonst zu den Schlussfolgerungen über die Existenz oder Absenz von Hexen in unserer heutigen Welt kommen, zu denen Ausstellung und dazugehöriger Band ja eigens auffordern? Aufmerksame Leserinnen und Leser werden sich zudem wünschen, der Band wäre vor dem Druck zumindest von einem Teil der Fehler befreit worden, die sich selbst in den abgedruckten Ausstellungstexten finden.

URN urn:nbn:de:0114-qn032208

PD Dr. Angela Schwarz

Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, Fakultät 2 – Institut für Kulturwissenschaften

E-Mail: dr.a.schwarz@uni-duisburg.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.