Ein (neuer) Blick auf die Konkurrenz unter Frauenforscherinnen

Rezension von Anina Mischau

Sünne Andresen:

Der Preis der Anerkennung.

Frauenforscherinnen im Konkurrenzfeld Hochschule.

Münster: Westfälisches Dampfboot 2001.

236 Seiten, ISBN 3–89691–505–3, € 24,80

Abstract: Die Solidarität unter Frauenforscherinnen wird bis heute als politisch-ideologisches Postulat der Frauenforschung aufrechterhalten, obwohl im Zuge einer zunehmenden Institutionalisierung und Professionalisierung bei einer gleichzeitig nahezu unveränderten Marginalisierung der Frauenforschung an deutschen Hochschulen eine stärker werdende Konkurrenz auch unter Frauenforscherinnen zu beobachten ist. Sünne Andresen geht der Frage nach den möglichen Ursachen von Konkurrenz unter Frauenforscherinnen in der Hochschule nach. Diese Fragestellung ist in der Frauen- und Geschlechterforschung nicht neu, wenngleich sie bislang eher allgemein auf die Konkurrenz unter Wissenschaftlerinnen bezogen worden ist. Innovativ ist jedoch, dass die Autorin hierfür den subjektwissenschaftlichen Ansatz der Kritischen Psychologie und die Habitus-Feld-Konzeption Bourdieus als theoretischen Bezugsrahmen auswählt und damit deutlich über die vorherrschenden subjektzentrierten oder strukturtheoretischen Erklärungsansätze hinausgeht. Die empirische Basis ihrer Studie sind sechs qualitative Interviews mit Habilitandinnen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer, die sich auf die Frauen- und Geschlechterforschung spezialisiert haben. Insgesamt arbeitet die Autorin interessante Aspekte möglicher Ursachen des Konkurrenzverhaltens unter und der Konkurrenzerfahrungen von Frauenforscherinnen heraus. Sie bleibt der Leserin aber mindestens genauso viele Antworten schuldig, wie sie durch die dargestellten „empirischen Ergebnisse“ zu geben vermag.

In den beiden ersten Kapiteln skizziert die Autorin den theoretisch-methodischen Bezugsrahmen ihrer Studie. Sehr gelungenwird herausgearbeitet, dass die bisher dominierenden subjektzentrierten und strukturtheoretischen Erklärungsansätze, die Ursachen von Konkurrenz unter Frauen (in der Hochschule/Wissenschaft) entweder „überwiegend aus den Persönlichkeitsstrukturen von Frauen oder aber aus den geschlechtsspezifischen Vergesellschaftungsbedingungen, d. h. der hierarchischen Geschlechterordnung abzuleiten“ (S. 31) versuchen. Auch wenn diese Ansätze allesamt von einem Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstrukturierung, individuellen Handlungen und gesellschaftlichen (Geschlechter-)Strukturen ausgehen, konnten sie, so das Resümee der Autorin, bislang nicht hinreichend erklären, wie dieser Zusammenhang auf der Handlungsebene zu fassen ist. Daher entwickelt die Autorin unter Rückgriff auf den subjektwissenschaftlichen Ansatz der Kritischen Psychologie und die Habitus-Feld-Konzeption Bourdieus einen theoretischen Rahmen, „der es ermöglichen soll, Konkurrenz (und Kooperation) unter Frauenforscherinnen als gesellschaftlich strukturierte bzw. gesellschaftlich vermittelte, gleichwohl von den Individuen hervorgebrachte Handlungsweise zu untersuchen“ (S. 61). Dies will sie am Beispiel der Situation von sechs Habilitandinnen „empirisch“ bestätigen. Kapitel 3 skizziert zunächst noch einmal die allgemeinen Rahmen- und Strukturbedingungen der Hochschule als einen sozialen Machtraum und die damit einhergehenden verallgemeinerten und subjektiv wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten, denen der wissenschaftliche Nachwuchs, gleich welchen Geschlechts und unabhängig von der jeweiligen Disziplin oder dem gewählten Forschungsfeld, auf den unterschiedlichen Qualifikationsstufen der wissenschaftlichen Laufbahn „unterworfen“ ist. Kapitel 4 und 5 fokussieren dann die eigentlich im Zentrum des Erkenntnisinteresses der Autorin stehende Fragestellung.

Hochschule und Wissenschaft als vergeschlechtlichter Raum

Kapitel 4 beginnt mit einem historischen Rückblick, in dem die Autorin sehr fundiert die unterschiedlichen Phasen und Mechanismen der Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftsbereich seit Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt. Ihre kritische Analyse der Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik in den 80er und 90er Jahren mündet in der Erkenntnis, dass diese die männliche hierarchische Strukturdominanz an Hochschulen und damit auch die tradierten Rekrutierungsmuster des wissenschaftlichen Nachwuchses nur punktuell durchbrechen und die Handlungsmöglichkeiten von Wissenschaftlerinnen offensichtlich kaum verändern konnte. Nach wie vor ist „das hervorstechende geschlechtsspezifische Merkmal des akademischen Feldes (…) die vertikale und horizontale Segregation“ (S. 114), Hochschule und Wissenschaft sind damit als ein vergeschlechtlichtes soziales Feld zu betrachten. Die Beispiele aus den Interviews zeigen, dass dies von den befragten Habilitandinnen auch so wahrgenommen wird. Sie werden im wissenschaftlichen Alltag von männlichen Kollegen nur zu oft mit Strategien der Dominanzsicherung konfrontiert, die sich z. B. im Umgangsstil, den Arbeitsweisen und in der Gestaltung von Arbeitszusammenhängen manifestiert. Darüber hinaus ist die männliche Strukturdominanz in der „Dimension der Verteilung von Position und Macht“ (S. 135) ständig präsent. Dem weiblichen Nachwuchs fehlt es aufgrund der geringen Anzahl von Frauen in mächtigen Positionen der Hochschule und Wissenschaft einerseits an Förderbedingungen, die mit dem noch immer bestens funktionierenden „old-boy-network“ zu vergleichen wären. Andererseits werden aber auch die Handlungs- und Kooperationsmöglichkeiten als weibliche Wissenschaftlerinnen sehr ambivalent beurteilt: Maßnahmen der Frauenförderung werden für die eigene Laufbahn nur ein geringer Wert beigemessen, das eigene Geschlecht wird (aufgrund seiner „machtlosen“ Position) „offenbar kaum als positiver Bezugspunkt für Handlungen“ (S. 139) gesehen und Kolleginnen, die nicht in der Frauenforschung tätig sind, kaum als „potentielle Bündnispartnerinnen“ (S. 139) wahrgenommen. Im Ergebnis überwiegt das Gefühl der Vereinzelung, werden die subjektiven Handlungsmöglichkeiten scheinbar alternativlos an die geltenden Anforderungen und Spielregeln des akademischen Feldes angepasst.

Die Hochschule als objektiver und subjektiver Handlungsraum von Frauenforscherinnen

In Kapitel 5 beschreibt die Autorin zunächst den widersprüchlichen Verlauf der Institutionalisierung der Frauenforschung an Hochschulen im Spannungsverhältnis zwischen Kritik und Anerkennung des wissenschaftlichen Feldes einerseits und der Gleichzeitigkeit von Professionalisierung und Marginalisierung andererseits. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich die objektiven wie die subjektiv wahrgenommenen Handlungsspielräume zumindest für Nachwuchswissenschaftlerinnen in der Frauenforschung in den letzten Jahren eher verschlechtert als verbessert haben. Die Beispiele aus den Interviews dokumentieren, dass die alltäglichen Erfahrungen der Randständigkeit und „Abwertung“ der Frauenforschung in der scientific community zu einer „negativen Konstruktion des eigenen Handlungsspielraums“ (S. 179) bei den befragten Habilitandinnen führen und zu der Erkenntnis, dass die Verortung in der Frauenforschung zumindest in der Qualifizierungsphase ein „karrieretechnisch großes Problem“ (ebd.) darstellt. Gleichzeitig berichten die Habilitandinnen von dem Bedeutungsverlust von Netzwerken für den eigenen beruflichen Werdegang, da die Beziehungs- und Kooperationsformen, die vielfach dazu geführt haben, dass diese Frauen in der Frauenforschung ihre wissenschaftliche Heimat gefunden haben, mittlerweile kaum mehr existieren. Die Gründe hierfür verortet die Autorin in der (schleichenden) Anpassung der Frauenforscherinnen (der ersten und zweiten Generation) an Anforderungen des akademischen Feldes: Karriereinteressen, fachliche Ausdifferenzierungsprozesse und die zunehmenden Auflösung des proklamierten Zusammenhangs von feministischer Erkenntnis, Selbst- und Gesellschaftsveränderung als konstitutives Element entsprechender Solidaritätsstrukturen unter Frauenforscherinnen bilden veränderte Rahmenbedingungen. Angesichts dieser Entwicklungen und Erfahrungen wird „mit Blick auf zukünftige Karrierechancen zunehmend als subjektiv rational erfahren, sich von Frauenforscherinnen und der Vernetzung mit ihnen zu distanzieren bzw. einem solchen Engagement die ‚wirklich wichtigen‘ Kontakte im Feld vorzuziehen“ (S. 197). Ein begrenztes Potential an Ressourcen, d. h. an Stellen und Forschungsmitteln für die Frauenforschung, tut ein übriges, die Konkurrenzsituation unter Frauenforscherinnen zu verstärken.

Ein kritisches Resümee

Während die theoretische Verortung der Studie immerhin 50 Seiten umfasst, erfolgt die Beschreibung des methodischen Vorgehens auf nicht einmal ganz vier Seiten. Über die Auswahlkriterien und die Rekrutierung der Interviewpartnerinnen ist wenig zu lesen. Aufgrund des fehlenden Abdrucks des Leitfadens ist die Basis der Datengewinnung nur schwer nachvollziehbar, auch die Art und Weise der Aufbereitung und Auswertung des qualitativen Datenmaterials bleibt weitgehend im Dunkeln. Die „empirischen“ Ergebnisse erscheinen insgesamt leider zu oft als „Anhängsel“ einer (sehr guten) Aufarbeitung des wissenschaftlichen Diskurses in diesem Forschungsfeld. Ein bedauerlicher Umstand, der zumindest dazu führt, dass die Autorin ihren eigenen Anspruch, der Frage nach den Ursachen von Konkurrenz unter Frauenforscherinnen empirischnachzugehen (vgl. S. 9), nur bedingt erfüllen kann. Dennoch ist das Buch in weiten Teilen lesenswert und regt zu einem neuen Nachdenken über Konkurrenz unter Frauen an. Das für die Rezensentin eindrücklichste Ergebnis ist, dass die Konkurrenz unter Frauenforscherinnen in der Gleichzeitigkeit von Professionalisierung und Marginalisierung der Frauenforschung in der Hochschule ihren „Nährboden“ findet und offensichtlich das „Resultat der Aneignung eines widersprüchlichen Handlungsfeldes“ ist, „in dem sich auch Frauenforscherinnen zunehmend als Vereinzelte in der Konkurrenz um Stellen und Karriereinteressen gegenüberstehen“ (S. 198). Interessant wäre jedoch eine Antwort auf die Frage, inwieweit sich die Situation und das Konkurrenzverhalten von Frauenforscherinnen denn nun tatsächlich von der/dem anderer Frauen im Wissenschaftsbetrieb unterscheidet. Diese Antwort bleibt die Autorin schuldig. Das Buch beschreibt deshalb auch teilweise Ergebnisse, die aus Studien über die Situation von Frauen in Natur- und Technikwissenschaften an Hochschulen bestens bekannt sind. Dass sich diese Wahrnehmungs- und Handlungsmuster nun auch bei Frauenforscherinnen zeigen, mag man bedauern. Vielleicht ist es aber einfach nur an der Zeit, auch die Vertreterinnen dieser Profession in der Realität und Normalität des akademischen Feldes willkommen zu heißen.

URN urn:nbn:de:0114-qn032142

Dr. Anina Mischau

Universität Bielefeld. Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum

E-Mail: anina.mischau@uni-bielefeld.de

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