Ein Drama um die Weiblichkeit – Dramatikerinnen im ausgehenden 19. Jahrhundert

Rezension von Leena Petersen

Heike Schmid:

„Gefallene Engel“.

Deutschsprachige Dramatikerinnen im ausgehenden 19. Jahrhundert.

St. Ingbert: Röhrig 2000.

250 Seiten, ISBN 3–86110–232–3, € 23,00

Abstract: In ihrer Dissertation zu deutschsprachigen Dramatikerinnen im ausgehenden 19. Jahrhundert beschäftigt sich Heike Schmid mit der desolaten Forschungslage zu Dramen und ihre Autorinnen. Es gibt innerhalb der Literaturgeschichtsschreibung kein anderes Gebiet, in dem Frauen einen derartig konsequenten Ausschluss erfahren haben wie in der dramatischen Gattung. Im ausgehenden 19. Jahrhundert, mit dem Einsetzen des Naturalismus bzw. dem Beginn der Moderne, wagten sich viele Schriftstellerinnen mit ihren Werken an die Öffentlichkeit. Gerade dramatische Texte erheben Einspruch gegen gegenwärtige, gesellschaftliche Zustände: Sie enthalten „gegenwartsbezogenes, beunruhigendes und damit oft destabilisierendes Potential, das durch die spezifische Art der – kollektiven – Rezeption eines Dramas Verbreitung findet“ (S. 13). Heike Schmidts Dissertation macht deutlich, dass auch in der Moderne“ sozialen Fragen, im besonderen der Frage nach neuen Lebensentwürfen von Frauen, nur allzu geflissentlich“ ausgewichen wurde (S.14), da zeitgenössische Dramatikerinnen konsequent ignoriert wurden. Denn die „straffe, wuchtige Gestaltung des Drama.

Else Bernstein-Porges, Juliane Déry, Margarethe Langkammer, Anna Croissant-Rust und Clara Viebig – die Namen dieser Bühnenschriftstellerinnen, die von Heike Schmid in Gefallene Engel vorgestellt werden, sind heute kaum oder gar nicht bekannt. Dies ist nicht zuletzt eine Folge von Nationalsozialismus und Exilaufenthalten. Viele Manuskripte der Dramatikerinnen sind nicht mehr auffindbar oder nur noch fragmentarisch erhalten. Auch in traditionellen Lexika und Literaturnachschlagewerken ist nicht eine einzige Dramatikerin zu finden – obwohl eine große Anzahl von Bühnenstücken weiblicher Autoren existiert. Schmid zitiert diesbezüglich Silvia Bovenschen, die die „heute in der aktuellen Auseinandersetzung um das Weibliche häufig formulierte These, dass überall dort, wo Frauen in der Geschichte zur Feder gegriffen haben, das Resultat ihrer Bemühungen inhaltlich und formal notwendig innovatorisch sei“, als „schlicht biologistisch“ beantwortet und als abstrahierend „von den engen Aktionsradien, die den Frauen in den kulturellen Diskursgefügen jeweils zur Verfügung standen“. Schmid verweist in ihrem Buch ausdrücklich darauf, dass sie es ablehnt, „eine lineare Tradition ebenso ‚literarischer‘, qualitativ hochwertiger Dramen zu konstruieren und eine weibliche Dramengenese zu etablieren“. Zum einen sei bisher keine gültige Bewertungskategorie zur Interpretation entstanden, und zum anderen wäre der Zeitpunkt für einen Vergleich zwischen „‚weiblichen‘ und ‚männlichen‘ Dramen“ noch verfrüht, solange nicht auf „eine solide und ins literarische Bewusstsein gedrungene Sammlung von Dramen aus weiblicher Feder zurückgegriffen werden kann“ (S.18).

Die Verwendung männlicher Pseudonyme

Allen in diesem Buch vorgestellten Dramatikerinnen wurde von Kritikern und Rezensenten ein besonderes Talent zuerkannt – insbesondere, wenn sie ihre Manuskripte unter einem männlichen Pseudonym verfassten. Juliane Déry reichte beispielsweise ihr Erstlingswerk Meine Braut anonym bei dem Schriftsteller und Büchner-Herausgeber Karl Emil Franzos ein. Seine erste Reaktion auf das Manuskript bestand darin, den Überbringer zu fragen, „welcher unserer erprobten österreichischen Schriftsteller“ ihm „diese mit vollster technischer Sicherheit geschriebene Arbeit anonym in die Hände gespielt“ hätte (S. 124). Als die Dramatikerin Margarete Langkammer ihre Werke noch unter dem Pseudonym Richard Nordmann publizierte, sprach die Kritik von „einem der angesehensten Schriftsteller Österreichs“. Nachdem Langkammer sich als Verfasserin ihrer Werke zu erkennen gegeben hatte, gingen einige Kritiker soweit, zu behaupten, „sehr gute Gründe zu haben, die eine mindestens ausschließliche Autorschaft der Frau Langkammer nicht sehr wahrscheinlich machen“ (S. 174).

Heike Schmid stellt ihrer Arbeit, die sie auf der Grundlage aktueller Frauen- und Geschlechterforschung verfasst hat, eine eingehende Beschreibung der sozialen Situation dieser Zeit voran. Neben den Kurzbiographien der fünf Bühnenschrifsteller/-innen werden exemplarische Werke – Komödien, Tragödien und Volksstücke – sehr anschaulich erörtert. Anhand von Bittbriefen und anderen Materialien wird die Schwierigkeit dargestellt, als Frau dramatische Werke zu veröffentlichen.

Bis heute sind es im wesentlichen ästhetische Kriterien der explizit männlichen Domäne, die die Spielpläne vieler Bühnen bestimmen. Die Aufnahme in die Literaturgeschichtsschreibung war für Schriftstellerinnen weitestgehend nur durch das Schreiben in patriarchalischen Modalitäten möglich, zu erlangen also nur durch Verfremdung und Verzerrung eigener Erfahrungen. Exemplarisch dafür ist, dass neben der empfehlenswerten Arbeit von Heike Schmid bisher nur fünf umfassendere Bearbeitungen von Dramen weiblicher Autoren veröffentlicht wurden.

URN urn:nbn:de:0114-qn032102

Leena Petersen

Humboldt-Universität zu Berlin, Skandinavistik und Gender Studies

E-Mail: leena.petersen@web.de

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