Weibliche Autorschaft in neuem Licht

Rezension von Natascha Ueckmann

Andrea Rinnert:

Körper, Weiblichkeit, Autorschaft.

Eine Inspektion feministischer Literaturtheorien.

Königstein/Taunus: Helmer 2001.

190 Seiten, ISBN 3–89741–064–8, € 22,50

Abstract: Mit Andrea Rinnerts Studie liegt ein Überblickswerk vor, das eine zuverlässige Einführung in den derzeitigen Stand einer feministisch orientierten Literaturwissenschaft und in die damit zusammenhängende spezielle Problematik weiblicher Autorschaft und Kanonbildung gibt. Ziel des Überblicks soll sein, auch in der Rückschau auf bereits geklärte Positionen, den gegenwärtigen Problemhorizont feministischer Theoriebildungen neu zu skizzieren.

Vergangenheits- und Zukunftsprojekte

Durch eine chronologische Rekonstruktion und Zusammenschau von drei Theoriesträngen entwirft Andrea Rinnert eine mögliche Reformulierung weiblicher Autorschaft jenseits von weiblicher Selbstauslöschung und Opferdiskurs, welcher als „killing women into art“ oder als „Mörderischer Kunst“-Ansatz Eingang in die feministische Literaturtheorie gefunden hat. Die Annahme, Schreiben sei ein Tötungsakt, indem das „Weibliche“ für die männliche Kunstproduktion funktionalisiert wird, hält sie für nicht mehr zeitgemäß.

Im ersten Teil auf Virginia Woolf und Simone de Beauvoir rekurrierend zeigt sie, dass beide Autorinnen „einem misogynen Autorschaftsdikurs […] die Vorstellung entgegen[setzen], Schriftstellerinnen befänden sich aufgrund einer strukturellen gesellschaftlichen Benachteiligung (noch) nicht auf dem avanciertesten Stand des künstlerischen Ausdrucksvermögens“ (S. 51). Woolfs Vision einer bislang verdeckten Differenz, einer literarischen weiblichen Genealogie und ihr „Plädoyer für anerkennende Erinnerung“ steht dabei konträr zu Beauvoirs Vorstellung „von der Vergangenheit als überholter Entwicklungsstufe“ (S. 39), die die Gleichheit der Geschlechter nur verborgen habe. Gegensätzlich sind die beiden Vordenkerinnen auch hinsichtlich ihrer Problematisierung des Körpers. Beide assoziieren zwar mit Körper überwiegend eine leidvolle, begrenzende Erfahrung, da ihm im Kontext des Zwei-Geschlechter-Modells Platzanweiser-Funktion zukomme – „für die Frau verbunden mit gesellschaftlicher Abwertung und der Vorenthaltung des bürgerlichen Subjektstatus. Aber […] [w]ährend Woolf den weiblichen Körper jenseits patriarchaler Verhältnisse als dem Bereich des Unbewussten zugehörige Quelle künstlerischer Kreativität betrachtet, bestimmt Beauvoir ihn per se als Hindernis bei der Aneignung der Autorposition.“ (S. 42f)

Potential vs. Defizit: Ausgangsorte weiblichen Schreibens

Im zweiten Teil skizziert Rinnert die Entwicklungen um den feministischen Poststrukturalismus im Lauf der 1980er Jahre, den sie vor allem mit den Namen Hélène Cixous, Luce Irigaray, Julia Kristeva sowie mit den italienischen Frauengruppen „Libreria delle donne di Milano“ und „Diotima“ verbindet und bei dem es anstelle von Defizitaufarbeitung um das bewusste Anknüpfen an weibliche Ressourcen und Potentiale geht. Hinter der Annahme einer vordiskursiven Geschlechterdifferenz und damit auch eines genuin weiblichen Schreibens, das es in die symbolische Ordnung hineinzutragen gelte, steht der Wunsch nach einer weiblichen Gegenkultur und infolge dessen auch nach einem Gegenkanon. Mit Ausnahme von Kristeva, die in Anlehnung an Beauvoir „eine mütterliche Position als potentiellen Ausgangsort weiblichen Schreibens diskreditiert“ (S. 84), begründen die französischen und italienischen Feministinnen ihren Appell „den Körper zu schreiben“, mit der potentiellen Gebärfähigkeit und Mutterschaft der Frau. Rinnert weist zu Recht darauf hin, dass die Autorposition damit für Frauen geöffnet wird, da Autorschaft und Frausein in keinem widersprüchlichen Verhältnis mehr zueinander stehen müssen: „Weibliche Autorschaft erscheint nicht mehr zwangsläufig verbunden mit der Übernahme einer männlichen Rolle, die der schreibenden Frau unweigerlich eine selbstzerstörerische Abwertung von Weiblichkeit abverlangt, sondern als ein Ort, an dem sich Frauen bereits befinden.“ (S. 89) Mit der Parallelisierung

von Schreiben und Gebären wird die gängige Gleichsetzung von Männlichkeit und geistiger Produktion unterminiert. Die erkenntnistheoretische Crux im Differenz-Ansatz besteht nun aber einerseits darin, den Körper als Subjektsurrogat zu definieren und andererseits Mutterschaft vornehmlich als körperlich fundierte weibliche Praxis statt als den Frauen zugewiesenen soziale Funktion zu sehen. Problematisch ist die Ineinssetzung von Alltagserfahrung und Theoriebildung, denn Erfahrungswissen ist begrenzt und mit den Macht- und Herrschaftsverhältnissen eng verwoben. Rinnert löst dieses Problem – die eindringliche Ausgestaltung der Gebärmetapher bei den Poststrukturalistinnen – mit dem Hinweis auf deren „strategische Diskurskritik“ (S. 58), die bspw. Irigarays Persiflage des Penisneid-Konzepts oder Cixous Libidokonzeption ihrer Meinung nach enthalten.

Auf Umwegen zur Autorschaft

Als dritten Theoriestrang diskutiert Rinnert die Thesen der amerikanischen Dekonstruktivistinnen Shoshana Felman, Mary Jacobus und Barbara Johnson, die erst in den 1990er Jahren Eingang in die bundesrepublikanische feministische Literaturwissenschaft fanden. Die ideologischen Beschränktheiten sowohl des Egalitäts- als auch des Differenzfeminismus angeblich hinter sich lassend, thematisiere der feministische Dekonstruktivismus die Frau weder als Opfer noch propagiere er eine bestimmte Form von weiblicher Identität. Übereinstimmend mit Judith Butler erachten die Dekonstruktivistinnen die Vorstellung einer vordiskursiven Geschlechterdifferenz als kontraproduktiv und streben nach deren Auflösung. Anstatt wie Butler Geschlecht insgesamt zu neutralisieren, bedenken sie aber die Verschiedenheit weiblicher und männlicher Subjekt- und Autorpositionen. Zentral ist in der dekonstruktivistischen Theoriebildung die Hinwendung zur Leserschaft, resultierend aus einer spezifischen Kritik am Bild des schöpferischen Autors, das sich mit der Autonomiesetzung der Kunst gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchgesetzt hat. Da die Aufwertung des Lesers und die damit einhergehende Relativierung der Autorinstanz wesentlich ist, verfolgt Rinnert hier vorrangig die Frage nach dem Zusammenhang von Rezeption und Geschlecht. „[D]ie ideale Leserin [gilt] als den Verfasserinnen und Verfassern von Texten ebenbürtige dekonstruktivistisch orientierte Theoretikerin, die durch ihre Lektüre eine Defiguration des Geschlechterverhältnisses vornimmt und damit dessen Refiguration einleitet.“ (S. 121) Der Frau wird somit primär die Fähigkeit zu einer subversiven Lektüre zugesprochen; über den Umweg der aufgewerteten Rezeption kommt die Frau zur Autorschaft. Rinnert kritisiert aber die dekonstruktivistische Präferenz einer Relektüre kanonisierter Literatur, die den Kanon affirmiert, während die Texte von Frauen abermals marginalisiert werden. Mit ihrer Kritik stößt Rinnert auf ein grundsätzliches methodologisches Paradoxon feministischer Theorie, nämlich den etablierten Kanon als Ausgangs- und Vergleichspunkt zu benutzen, ihn aber gleichzeitig nicht als maßgeblich anzuerkennen. Trotz der Tatsache, dass die herkömmliche Literaturgeschichtsschreibung über den Ausschluss von weiblichen Autoren zustande gekommen ist, scheint es unmöglich, den Kanon zu ignorieren.

Autorschaft als soziale Praxis

Statt zukünftig vor allem geschlechterübergreifende Studien durchzuführen und die Kategorien Geschlecht, Subjekt und Körper auf Diskurs zu reduzieren wie es die Dekonstruktivistinnen vorschlagen, plädiert Rinnert gerade aus kanonrelevanten Gründen dafür, „Literatur von Frauen […] weiterhin eine Vorrangstellung einzuräumen“ (S. 143), denn vor einer Dekonstruktion der Geschlechterverhältnisse sei ihre Rekonstruktion zu leisten. Immerhin sei der literarische Kanon Ergebnis eines Selektionsprozesses, der sich nicht an einem geschlechtsneutralen Maßstab orientierte. Zu Recht kritisiert sie die derzeitige Tendenz, primär die Prozesshaftigkeit und Konstruiertheit von Geschlecht zu thematisieren und dabei Geschlecht als Existenzweise (Andrea Maihofer 1995) mehr und mehr zu vernachlässigen. Sie befürwortet einen Umgang mit Literatur, der sich erneut den sozialen Praxen von Frauen und Männern als historisch entstandenen und kulturell erzeugten zuwendet, denn die Bedeutung der Geschlechterdifferenz ist nach wie vor Bezugspunkt für das Schreiben und Lesen von Texten.

Insgesamt überzeugt Andrea Rinnerts Studie durch eine konzise und sprachgewandte Rückschau auf

feministische Literaturtheorien anhand derer sie ein Verständnis von weiblicher Autorschaft entwickelt, welches sowohl über Täter-Opfer-Konstellationen als auch über essentialistische Positionen hinausweist. Rinnert widerstrebt zudem dem literaturtheoretischen Zeitgeist und allen modischen Diskursen vom Ende des Subjekts und vom „Tod des Autors“, da sie eine Kategorie ins Zentrum rücken, die aus dekonstruktivistischer Sicht obsolet geworden sei.

URN urn:nbn:de:0114-qn032095

Dr. Natascha Ueckmann, DAAD-Lektorin

Université Mulhouse (Frankreich)

E-Mail: nueckmann@gmx.net

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