Deutsche Literatur von Frauen – Jetzt auch digital!

Rezension von Corinna Heipcke

Mark Lehmstedt Mark (Hg.):

Deutsche Literatur von Frauen.

Von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow.

Berlin: Directmedia Publishing 2001.

CD-ROM, ISBN 3–89853–145–7, € 52,60

Abstract: Die Digitale Bibliothek hat eine CD-Rom ediert, auf der ein Querschnitt durch die Werke von Autorinnen aus vier Jahrhunderten enthalten ist. Die Volltexte sind integriert in ein Bearbeitungsprogramm, das quellentreues Zitieren und Volltextrecherchen ermöglicht. Damit ist ein ausgesprochen praktisches Hilfsmittel für Germanistinnen und Germanisten entstanden. An ihre Grenzen gelangt die Sammlung allerdings bei der nicht unproblematischen Textauswahl.

Zur Entstehungsgeschichte der CD-ROM Deutsche Literatur von Frauen

Die Lektoren der Digitalen Bibliothekhaben es sich zur Aufgabe gemacht, so informiert Programmleiter Mathias Bertram im Editorial, mit ihren digitalen Literatureditionen eine Bibliothek zu schaffen, die alle Werke enthält, „in denen man nachzuschlagen oder zu lesen wünscht.“ So begann man vor fünf Jahren mit der Veröffentlichung einer CD-ROM Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, die den Volltexten ausgewählter Werke ausgewählter Autoren ein Bearbeitungsprogramm an die Seite stellte. Über diesem Unterfangen hatte man aber die Frauen fast vergessen: In Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka waren nur vier Autorinnen vertreten. Um diesem Mangel abzuhelfen, edierte Mark Lehmstedt unter dem Titel Deutsche Literatur von Frauen eine CD-ROM, die ausgewählte Werke von 62 Autorinnen vom Barock bis zur Weimarer Republik enthält. Eingebettet sind diese Werke in die neueste Software-Version der Digitalen Bibliothek.

Das Bearbeitungsprogramm

Die Software der Digitalen Bibliothek ist einfach zu bedienen, sobald man die dazugehörige Einführung zur Hand hat. Sie liegt der CD-ROM erst ab Band 58 bei, kann aber bei Bedarf von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen oder vom ausgesprochen hilfsbereiten und liebenswürdigen Kundendienst der Digitalen Bibliothek umgehend zugeschickt werden. Die Einführung in die Software ist wohltuend klar formuliert: Sie verzichtet auf den derartige Instruktionen oft albern erscheinen lassenden „techno babble“ und beschränkt sich auf das Wesentliche. Darüber hinaus ist sie mit exemplarischen Abbildungen von Bildschirmseiten ausgestattet, die die Orientierung zusätzlich vereinfachen.

Zu den wichtigsten Funktionen der Software gehört die Möglichkeit, die gesamten Texte schreibweisentolerant nach in den Texten vorkommenden Begriffen zu durchsuchen sowie kombinierte UND/ODER-Suchen durchzuführen. Auch ist es möglich, Textstellen zu zitieren, wobei das Programm selbständig die Quellenangaben beifügt. Damit macht die Digitale Bibliothek große Textkorpora erstmals der digitalen Bearbeitung direkt zugänglich. Darüber hinaus enthalten die Literatur-CDs Portraits und die Biographien der Autorinnen und Autoren und Portraits mit Bearbeitungsoptione.

Die CD Deutsche Literatur von Frauen

Zunächst eine Anmerkung zum Titel der CD: Er hätte glücklicher gewählt sein können. Erstens erinnert er an Gisela Brinker-Gablers gleichnamige Aufsatzsammlung. Auf Nachfrage versicherte der Lektor hingegen, dies sei keinesfalls beabsichtigt – mit dem Zusatz, Brinker-Gabler sei ihm kein Begriff. Vielmehr sei der Titel Deutsche Literatur von Frauen als Ergänzung zur ersten Edition der Digitalen Bibliothek, der Sammlung Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, gedacht. Zweitens wäre ein leichtes gewesen, den Untertitel des Kompilats zum Titel zu machen und die CD Deutsche Literatur von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow zu nennen. Anscheinend war man aber nicht der Auffassung, die versammelten Autorinnen könnten die deutsche Literatur in gleichem Maße repräsentieren, wie es den Herren Lessing bis Kafka vermeintlich gelingt.

Zur Auswahl der Texte wird erläutert, sie strebe einen repräsentativen Längsschnitt durch den literarischen Prozess sowie eine repräsentative Auswahl aus dem Werk der jeweiligen Autorinnen an, sei aber wie jede andere Auswahl „letztlich eine subjektive“. Was bei diesem subjektiven Verfahren herausgekommen ist, ist eine dank der Digitalisierung bisher zwar unvergleichlich umfangreiche, aber letztlich unbefriedigende Sammlung.

Das interessierte Publikum bekommt eine Zusammenstellung der bekanntesten Werke der bekanntesten Autorinnen aus vier Jahrhunderten Literaturgeschichte geboten. Die kanonfeste Leserin stößt bei der Durchsicht auf ihr bekannte Autorinnen wie Luise Gottsched, Louise Otto und andere, sieht sich jedoch angesichts des immensen Umfangs der versammelten Werke zunächst auf ein staunendes „Oh!“ beschränkt. Es folgt freudiger Jubel, sobald man die Lieblingswerke der Lieblingsautorinnen so praktisch digitalisiert entdeckt. Schon wähnt sich der oder die eifrig Forschende der Archivreisen, Reader-Printer-Ausdrucke und Antiquariatsrecherchen enthoben, die die Arbeit mit der Literatur von Autorinnen häufig verlangsamen. Doch dann die Ernüchterung: Die Digitale Bibliothek hat sich bei der Auswahl weitgehend auf vermeintlich exemplarische belletristische Werke der Autorinnen konzentriert. Das führt dazu, dass die Autorinnen nicht mit jeweils allen ihren Werken vertreten sind. Egal, über wen man also arbeitet, einen Teil der Werke wird man in der Sammlung immer vermissen. Auf Briefe und Tagebücher wurde ebenfalls verzichtet, da man der Ansicht war, sie blieben „ohne detaillierte Kommentare unverständlich.“

Hier könnte die Digitale Bibliothek freilich einwenden, ihre Publikation richte sich nicht an eine Fachöffentlichkeit, sondern diene der Volksaufklärung. Aber wer setzt sich schon zwecks eigener Aufklärung an den Rechner und zitiert quellentreu Barockgedichte? Und wie kann man einen repräsentativen Querschnitt annoncieren, wenn man von Marianne Ehrmann, die vor allem als Publizistin hervorgetreten ist, zwar drei Romane und einen Essay beigibt, aber ihre Zeitschriften nicht in die Sammlung aufnimmt?

Wem also nützt Deutsche Literatur von Frauen? Vor allem wohl dem Verlag. Nachdem man dort den Mangel von Autorinnen im literarischen Kanon zunächst einmal durch die Sammlung Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka digital reproduziert hatte, zog man aus, ihm durch eine zweite Sammlung Abhilfe zu schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob die Verkaufszahlen diesem Kalkül recht geben werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn032031

Dr. des. Corinna Heipcke

Guildford, University of Surrey

E-Mail: c.heipcke@surrey.ac.uk

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