„Geschlechter-Dialoge?“

Rezension von Regina Frey

Claudia von Braunmühl (Hg.):

Der blockierte Dialog.

Zur Rezeption feministischer Theorie-Impulse im Wissenschaftsbetrieb.

Berlin: Berlin Verlag 1999.

162 Seiten, ISBN 3–8305–0002–5, DM 39,00 / SFr 36,00 / ÖS 285,00

Abstract: Der Band ist das Ergebnis einer Vorlesungsreihe an der Freien Universität. Sieben (männliche) Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen stellen dabei Impulse feministischer Theorien für ihre Disziplin vor. Claudia von Braunmühl greift also eine alte Frage der Frauen- und Geschlechterforschung auf: Inwieweit wirken die Arbeiten feministischer Wissenschaften in den „Malestream“ zurück? Die Einzelbeiträge stellen sich auf sehr unterschiedliche Weise der feministischen Herausforderung.

Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Vorlesungsreihe im Sommersemester 1998 am Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaften der FU. (Männliche) Wissenschaftler aus verschiedenen – auch naturwissenschaftlichen – Fachrichtungen hatten zur Aufgabe, Impulse feministischer Theorien für ihre Disziplin vorzustellen. Damit griff die Initiatorin und Herausgeberin des Bandes, Claudia von Braunmühl, eine alte Frage der Frauen- und Geschlechterforschung auf: Inwieweit wirken die Arbeiten feministischer Wissenschaften in den „Malestream“ des Wissenschaftsbetriebes zurück? Um es vorweg zu nehmen: Die Ergebnisse fallen denkbar unterschiedlich aus; die sieben Beiträge des Bandes bieten Informatives und Anregendes bis Unverständliches und Uninformiertes. Allein diese Heterogenität macht den Band interessant, denn auch wenn er nicht pauschal Rückschlüsse auf den Wissenschaftsbetrieb im Allgemeinen zuläßt, so dokumentiert er doch den Diskussionsstand jener, die den Schritt zu mehr Offenheit gegenüber feministischen Ansätzen gewagt haben – zumindest in der Berliner Wissenschaftslandschaft.

Kein Gedrängel

Die Herausgeberin macht in ihrem einleitenden Kapitel deutlich, wie die patriarchale Wissenschaftskultur die feministische erkenntnistheoretische Kritik ignoriert und beschweigt. Sie zeigt eine Reihe entsprechender Machtmechanismen und deren Spezifika (insb. des deutschen Wissenschaftsbetriebs) auf. Zwar wäre anzumerken, daß die „Ghettoisierung […] der Frauen- und Geschlechterforschung“ (S. 12) nicht ausschließlich aufgrund männlicher Herrschaftsmechanismen, sondern teilweise auch aufgrund von gewollten Schließungen feministischer Diskussionszusammenhänge besteht, die einen Dialog nicht gerade fördern: So dürfen bis heute Männer auf einigen Tagungen zu einschlägigen Themenbereichen nicht vortragen. Die streckenweise amüsant zu lesenden Ausführungen zum Entstehungskontext der Vortragsreihe zeugen allerdings davon, daß sich männliche Wissenschaftler auch nicht gerade in den feministischen Diskurs hineindrängeln. Diejenigen, die die Herausforderung zum Dialog schließlich annahmen, hatten durchaus keine leichte Aufgabe: Feministische Theorie-Impulse in ihrer Ausdifferenziertheit für die jeweilige Disziplin auf spannende Weise aufzuzeigen und die eigene Arbeit durch sie anzureichern, erfordert einen nicht geringen Einsatz.

Feministische Anreicherungen

In feministischen Ansätzen belesen zeigt sich der Politikwissenschaftler Ulrich Albrecht, der sich mit der Frage beschäftigt „Was hat die Disziplin Internationale Politik vom feministischen Diskurs gelernt?“ Seine Ausführungen bauen auf entsprechenden feministischen Arbeiten auf und reflektieren diese unter Prüfung des feministischen Versprechens, die Analysen des dominanten männlichen Diskurses „in innovativer Weise anzureichern“ (S. 33). Was seine Disziplin angeht, so legt Ulrich Albrecht hier einen wertvollen Überblick vor, indem er die feministische Kritik an einem Haupttheoriestrang im Forschungsfeld Internationale Beziehungen, der sogenannten „Realistischen Schule“, sowie an neueren Ansätzen aufzeigt. Seine erkenntnistheoretischen Schlußfolgerungen sind jedoch etwas unbefriedigend: So stellt er Dekonstruktion als allgemeines feministisches Anliegen dar, was verwirrend ist: Dekonstruktion kann nicht mit feministischer Kritik gleichgesetzt werden, da sie auch vor einigen feministischen erkenntnistheoretischen Selbstverständlichkeiten nicht haltgemacht hat – und dies blieb von anderer feministischer Seite nicht unwidersprochen. Albrecht kommt zu dem Schluß, daß „die Kategorie Geschlecht […] einen, aber eben nur einen neben andern, Schlüssel zum Zugang zu zentralen Tatbeständen sozialwissenschaftlicher Arbeit [bietet]“ (S. 42). Dabei übersieht er, daß gerade feministische kategoriale Untersuchungen, wie sie von Sandra Harding oder Donna Haraway vorgelegt wurden, über ihren genuinen Zugang (die Kategorie Gender) hinaus Fragen nach der Verschränktheit und Interdependenz verschiedenster sozialer Kategorien stellen. Vor dem Hintergrund dieses feministischen Diskurses ist es vereinfachend zu konstatieren: „Mit ethnischen oder religiösen Minderheiten wollen die FeministInnen/Frauen sich nicht auf eine Stufe stellen“ (S. 38/39).

Feminismus – Biologismus – Sexismus

Der Beitrag von Wilhelm Quitzow, Physiker und Erziehungswissenschaftler, dreht sich um „De[n] Einfluß feministischer Wissenschaftskritik auf das Selbstverständnis der Naturwissenschaften“. Er leistet eine „grobe Systematisierung“ (S. 50) feministischer Kritik an der Naturwissenschaft, vor allem an der Biologie. Dabei geht er u.a. auf den Zusammenhang zwischen Biologismus und Sexismus ein, weist einer „feministischen Naturwissenschaft“ aber auch Grenzen: eigentlich wolle diese nichts anderes als jede andere emanzipatorische Wissenschaft. Chancen sieht er daher vor allem in der „möglichst weitgehenden Zusammenarbeit von Männern und Frauen“ (S. 60). Dieser Schlußsatz wirkt gerade vor dem hochgesteckten Ziel etwas zu harmonisierend, zumal Quitzow wichtige Bausteine feministischer Wissenschaftskritik ausläßt. Insbesondere das Fehlen der Arbeiten über die Primatologie der Biologin Donna Haraway fallen hier ins Gewicht. Somit ist der Beitrag zwar informativ, fällt jedoch hinter den aktuellen wissenschaftstheoretischen Diskussionsstand zurück.

Mensch – Maschine – Geschlecht

Der Beitrag zur feministischen Kritik und ökologischen Wissenschaft von Dirk Siefkes (Mathematik und Informatik), der sich auf die Disziplin Informatik bezieht, stellt spannende und grundsätzliche Fragen im Bereich Mensch – Maschine – Geschlecht. Obwohl im Detail durchaus anregend, drängt sich beim Lesen der Eindruck auf, der Beitrag sei aus verschiedenen vorangegangenen Arbeiten zusammengebastelt. Auch verliert Siefkes sich im letzten Teil seiner Ausführungen in psychoanalytischen Objekt-Beziehungsansätzen, die weder neu noch frei von eben jenen Stereotypisierungen ist, die neuere feministische Arbeiten (die der Autor nicht heranzieht) problematisieren und zum Kern des Problems machen.

Feministische Paradoxie

Der Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar Tenorth hat einen teilweise autobiographischen Zugang zum Thema, wobei er feministisch geschult und informiert argumentiert und die Hauptstränge der entsprechenden erziehungswissenschaftlichen Diskurse vorstellt. Hoffnungsvoll stimmt sein Resümee: Feministische Impulse seien vom Hauptstrang nicht nur rezipiert worden, sie hätten sogar in einem gewissen Maße zu einem Perspektivwechsel innerhalb der Disziplin geführt; auch verändere sich feministische Erziehungswissenschaft im Zuge der Debatten selbst und „[komme]auf das Allgemeine der Pädagogik selbst zurück“. (S. 103). Als einer der wenigen in diesem Band greift Tenorth neuere Debatten zu Dekonstruktion auf und löst feministische Impulse im Paradoxon der „egalitären Differenz“ (S. 108) allgemein auf. Der Autor führt also streitbare Argumente ins Feld, erweist sich damit aber auch als „würdiger Antagonist“ feministischer Kritik.

Weiblicher Blick als Leidenschaft?

Dietmar Kamper (Kultursoziologie) hat sich auf die von der Organisatorin gestellten Fragen nicht eingelassen. Sein vierseitiger Aufsatz zum Thema „Gibt es einen weiblichen Blick?“ steht quer zu bisheriger feministischer Erkenntnistheorie. Das kann unter Umständen reizvoll sein, ist es in diesem Falle jedoch nicht. Sein für Nicht-Philosophinnen und -Philosophen nur schwer zugänglicher Text stellt keinen Bezug her zu feministischen Arbeiten, die explizit Konzepte wie Weiblichkeit, Geschlecht und Körper behandeln. Vielmehr bewegt er sich nahe an essentialistischen Metaphern und Zuschreibungen: „Der weibliche Blick hält sich nah am Leben und ist keine Frage, sondern eine Antwort, keine Strategie, sondern eine Leidenschaft.“ (S. 92). Daß es den weiblichen Blick nicht gibt, ist als Schlußfolgerung des Beitrags wenig originell und provoziert die Gegenfrage: Wohin wirft der Autor seinen (nun doch männlichen) Blick, und welch strafende Mißachtung stellt die Ausblendung bisheriger Denkarbeit dar?

Rezeptionsdefizit bei Planern

Der Landschaftsplaner Jochen Hanisch hat für das Projekt der Feministischen Theorie-Impulse eingehend recherchiert und sogar eine Fragebogenaktion gestartet, um den Rezeptionsstand seiner Kolleginnen und Kollegen zu evaluieren. Dabei stellt er Defizite vor allem bei seinen männlichen Kollegen fest und bestätigt somit die These des blockierten Dialogs. Sein Beitrag ist zwar informativ, jedoch unstrukturiert und streckenweise nacherzählend. Impulse eigener Arbeit werden kaum sichtbar.

Vergeschlechtliche Tellerordnung

Hingegen liefert Albert Wirz einen Beitrag, der feministische Ansätze dadurch würdigt, daß er sie auf sehr anregende Weise in seine Reflexionen über Körperdiskurse und Sozialgeschichte einbaut und nutzbar macht. Vor der Ausgangsthese eines engen Zusammenhangs zwischen „der Ordnung auf dem Teller, Körperregimen und soziale[r] Ordnung“ (S. 134) arbeitet er die sozial bestimmte „kulinarische Geschlechterordnung“ (S. 141) der bürgerlichen Gesellschaft heraus: Männer sollen vor allem Fleisch verzehren, Frauen halten sich besser an Gemüse und dergleichen. Hier zeigt sich die Konstruktion und Reproduktion geschlechtlicher Ordnung und Herrschaft, Prozesse, die „um so wichtiger [sind], als sie Verhaltensweisen und Geschlechterdifferenzen scheinbar naturalisieren, indem sie sie in den Körper einschreiben“ (S. 149). Das Ende des Beitrags fällt leider etwas unvermittelt aus. Interessant wäre hier auch das Thema Körper und Performanz gewesen, hier ließen sich auch Bezüge zu einer Reihe weiterer feministischer Autorinnen finden.

Fazit

Dem Einführungstext auf der Rückseite des Bandes ist zuzustimmen: Es zeigt sich durchaus, daß ein Dialog mit männlichen Wissenschaftlern lohnend sein kann – hinzuzufügen wäre: Nicht immer und unbedingt. So begeben sich einige der Wissenschaftler nicht gerade auf der Höhe des Diskussionsstandes in den feministischen Dialog. Dennoch haben sich die Autoren auf das originelle Projekt eingelassen, und dies macht bereits einen Wert des Bandes aus. Auch werden die Einzelbeiträge dann spannend, wo feministische Impulse in jeweils eigene Arbeiten eingeflossen sind und dadurch punktuell doch Originäres dabei herauskam. Und – ein Dialog mit (weiblichen) Wissenschaftlerinnen ist feministisch gesehen ja auch nicht immer bereichernd. Wir sollten darauf hinsteuern, feministische Wissenschaften jenseits körperlicher Ausprägungen der Denkenden zu betreiben. Obwohl der Titel zunächst das Gegenteil suggeriert: Der „Blockierte Dialog“ ist ein Schritt in diese Richtung.

URN urn:nbn:de:0114-qn011076

Regina Frey

Institut für Soziologie, Freie Universität Berlin

E-Mail: refrey@zedat.fu-berlin.de

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