Kann die nicht, will die nicht oder soll die nicht?

Rezension von Regina Weber

Ina E. Bieber:

Frauen in der Politik.

Einflussfaktoren auf weibliche Kandidaturen zum Deutschen Bundestag.

Wiesbaden: Springer VS 2013.

368 Seiten, ISBN 978-3-658-02703-2, € 49,99

Abstract: Ina E. Bieber untersucht in ihrer Dissertation die Einflussfaktoren für erfolgreiche Bundestagskandidaturen von Frauen. Anhand von Längsschnitt- und Querschnittsdaten analysiert sie Faktoren auf der Mikroebene wie individuelle Eigenschaften und Dispositionen sowie Faktoren auf der Makroebene wie Partei- und Wahlsystemeinflüsse. Vor allem letztere wirken sich signifikant auf die Wahlchancen von Frauen aus. Allein das Geschlecht ist kein signifikanter Faktor für den Wahlerfolg zum Bundestag – vor allem die Zugehörigkeit zu Parteien des linken Spektrums und Kandidaturen auf Listenplätzen zeitigen für Frauen größere Chancen, erfolgreich zu kandidieren. Bei den individuellen Faktoren sind erwartete geschlechterspezifische Effekte, zum Beispiel durch Familienstand etc., nicht aufgetreten.

Because they can’t, because they don’t want to; or because nobody asked. Mit diesen drei Gründen – fehlendes Wissen, fehlendes Interesse oder fehlende Rekrutierungsnetzwerke – beschreiben die Forscher Sidney Verba, Kai Schlozman und Henry Brady (1995) die Nichtteilname am politischen Prozess. Warum sind aber ausgerechnet so wenige Frauen in der Politik? Weltweit liegt der Anteil an weiblichen Parlamentsmitgliedern unter 20%, in der Exekutive sind sie oft noch weniger vertreten. Die politikwissenschaftliche Forschung konzentriert sich bisher auf die Analyse von Rahmenbedingungen, Medienbildern und Meinungen zu Politikerinnen. Der politische Auswahlprozess geschieht jedoch vorher, bei den Kandidatinnen und Kandidaten. Welche spezifischen Mechanismen an dieser Stelle greifen, ist weitgehend unbekannt. Ina Bieber will mit ihrer Dissertation diese Lücke schließen.

Ausgehend von einer Einführung in den Untersuchungskontext „Kandidat/innen“ bei „Wahlen in repräsentativen Demokratien“ entwickelt sie ein Analyseschema mit sechs Bereichen, die empirisch quantitativ analysiert werden können: auf der Mikroebene Persönlichkeitseigenschaften sowie der persönliche und der politische Hintergrund der Kandidat/-innen, auf der Makroebene die politische Kultur, das Wahlsystem und die Parteien. Kandidat/-innen zum deutschen Bundestag bilden die empirische Basis für dieses Analyseschema, wobei die Datengrundlage die Deutsche Kandidatenstudie 2009, ein Experiment mit Kandidat/-innen im Rahmen der German Longitudinal Election Study (GLES) sowie ein Datensatz aller Bundestagskandidat/-innen von 1953–2009 aus Daten des Statistischen Bundesamts umfasst.

Annäherung an Einflussfaktoren auf Mikro- und Makroebene

Auf dieser Basis sollen die Einflussfaktoren für Erfolg und Misserfolg von Kandidat/-innen bei Bundestagswahlen sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt untersucht werden. In einem Dreischritt beschreibt die Autorin zunächst die deskriptiven Ergebnisse entlang ihres theoretischen Ansatzes, gefolgt von multivariaten Analysen und einer Weiterentwicklung der verschiedenen multivariaten Modelle im Hinblick auf zwei Faktoren, die sich in den ersten beiden Schritten als besonders einflussreich gezeigt haben: das Wahlsystem und die Parteizugehörigkeit.

Das Vorgehen erlaubt eine schrittweise Annäherung an die wesentlichen Faktoren, indem Aspekte, die keine signifikanten Zusammenhänge aufweisen, nicht weiter verfolgt werden müssen und der Erklärungsgehalt der Modelle so deutlich gesteigert werden kann. Wenig überraschend kann dabei das Geschlecht alleine als Kriterium für erfolgreiche Bundestagskandidaturen weitgehend ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für viele Faktoren auf der individuellen Ebene (Familienstand, typischer Frauenberuf, Interesse für typische Frauenthemen, später Eintritt in die Partei), die in der Theorie häufig mit der Unterrepräsentation von Frauen in Verbindung gebracht werden und daher von der Autorin als Einflüsse erwartet wurden. Einige Einflüsse wirken sich hingegen bei Männern und Frauen gleichermaßen auf die Wahlerfolgschancen aus: Ein fortgeschrittenes Alter und ein hoher Bildungsabschluss begünstige bei beiden Geschlechtern eine erfolgreiche Bundestagskandidatur. Die Autorin stellt abschließend fest, dass „weder der persönliche Hintergrund, noch der politische Hintergrund die Unterrepräsentation von Frauen im Deutschen Bundestag aktuell und in der Vergangenheit erklären kann“ (S. 325), nicht ohne an dieser Stelle auf die begrenzte Reichweite der Datenlage hinzuweisen, die latente Einflüsse wie die Vernetzung der Kandidaten in den Parteien oder die Belastung durch Reproduktionsarbeit nicht abbilden könne.

Im Folgenden konzentriert sich die Analyse auf Effekte der Makroebene: Ein wichtiger Einflussfaktor für die erfolgreiche Wahl von Frauen sei die Zugehörigkeit zur ‚richtigen‘ Partei – Frauen aus dem linken Parteienspektrum haben eine höhere Chance, gewählt zu werden, – und die Art der Kandidatur: Listenkandidatinnen werden eher gewählt als -kandidaten. Kandidatinnen dagegen, die in einem Wahlkreis kandidieren, sind seltener erfolgreich als männliche Wahlkreiskandidaten; sie werden zunächst seltener aufgestellt und sind auch tendenziell bei der Wahl seltener erfolgreich. Die gleichen Ausgangslagen bei der Qualität der Kandidaturen (tendenziell aussichtsreicher Listenplatz oder Wahlkreis) zeigen deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, letztere sind auch bei guter Kandidaturqualität schließlich als Kandidatinnen seltener erfolgreich. Hier zeigt sich der Mehrwert der gleichzeitigen Analyse von Quer- und Längsschnittdaten: In beiden Analysen zeigen sich diese Effekte und können damit zu Recht als nicht zufällig verstanden werden. Gleichzeitig zeigt sich in der Längsschnittanalyse, dass die Differenzen zwischen Wahlkreis- und Listenkandidaturen seit den 1990er Jahren geringer werden und damit auch Veränderungen stattfinden.

Bewertung

Die Autorin leistet einen wichtigen Beitrag in der quantitativen Analyse von (geschlechterspezifischen) Mechanismen, die den Schritt vom Kandidat/-innenstatus zum Abgeordnetenstatus beeinflussen. Der added value der Arbeit ist dabei auf zwei Ebenen zu finden: Erstens ermöglicht die quantitative Datenanalyse einen direkten Vergleich von Männern und Frauen, womit untersucht werden kann, welche Mechanismen speziell geschlechtsspezifisch wirken. Außerdem werden erfolgreiche und erfolglose Kandidat/-innen verglichen und dadurch Antworten auf eine wichtige Frage möglich: Woran scheitern Frauen bei der Wahl in den Bundestag? Bieber zeigt anhand Längs- und Querschnittsdaten, dass die Fragen nach den Rahmenbedingungen, vor allem den systemischen Faktoren von Parteiensystem und -ideologien sowie des Wahlsystems, wichtiger sind als individuelle Dispositionen der Kandidatinnen. Damit erweitert die Autorin die Analysen hinsichtlich geschlechterspezifischer Ungleichheiten um eine Ebene, die sich von der Betrachtung der Individuen löst und den Blick auf die Faktoren lenkt, die politisch beeinflussbar sind: die Rahmenbedingungen des politischen Wettbewerbs.

Die Ergebnisse liefern Ansätze, die lohnen weiter verfolgt zu werden: Welche Rolle spielt die Ideologie für Frauen, die sich politisch engagieren wollen? Eine höhere Chance für Kandidatinnen in linken Parteien klingt auf den ersten Blick nicht überraschend. Aber auf welcher Ebene findet der Einfluss statt? Bedienen diese Parteien die Wünsche eines Stammelektorats oder sind diese Parteien als Organisationen für Frauen eher zugänglich? Auch die Frage der Verankerung der Kandidat/-innen in ihren Parteien kann mit der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden: Die wichtige Sozialisationsfunktion von Jugendorganisationen oder die Einbindung in innerparteiliche Netzwerke hat mutmaßlich einen Einfluss auf die Chance, eine vielversprechende Kandidatur auf einem Listenplatz zu erhalten oder auch in einem Wahlkreis, der als ‚sicher‘ gilt, bzw. im Falle von unsicheren Kandidaturen über den Wahlkreis auf einem Listenplatz ‚abgesichert‘ zu werden. Welchen Einfluss haben die Gestaltung und der Zuschnitt von Wahlkreisen und die Aufteilung in Erst- und Zweitstimme für die Beteiligung von Frauen an der Legislative? Mit den Daten der vorliegenden Arbeit sind diese Fragen nicht zu beantworten. Außerdem können die Daten keinen Aufschluss über verschiedene Wahlsysteme im Vergleich liefern. Dazu wären länderübergreifende Datenanalysen nötig.

In den abschließenden Betrachtungen diskutiert die Autorin die Eingangsfrage ‚Kann, soll oder will sie nicht?‘ und stellt gleichzeitig fest, dass die Ergebnisse der Analysen wenig Spielraum lassen, darauf eine Antwort zu finden. Dieses Ergebnis überrascht angesichts der verwendeten Daten nicht. Insbesondere die wichtige Frage, ob Frauen weniger ‚gefragt werden‘ (also weniger sollen) oder selbst nicht ‚wollen‘, bleibt unklar. Die Annäherung an das Sollen über experimentelle Befragungen zur Einschätzung von fiktiven Kandidatinnen und Kandidaten kann maximal eine Annäherung an diese Frage sein, indem die öffentliche Wahrnehmung von Frauen und Männern getestet wird. Die Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten findet jedoch (noch) in Parteien statt, hier werden sicherlich wichtige Entscheidungen über das Sollen getroffen, die wohl nur schwer mittels quantitativer Datenanalyse zu erforschen sind. Auch das Wollen kann nur schwer in dieser Form untersucht werden: Ob Frauen tendenziell eher die zeitliche Belastung, die zu einer Bundestagskandidatur notwendig ist, scheuen oder sich lieber an anderer Stelle politisch engagieren, kann über die untersuchten Items kaum vollumfänglich analysiert werden. Diese Einschränkung schmälert keineswegs die Leistung und den Mehrwert der vorliegenden Arbeit, zur Analyse des Dreiklangs Können/Sollen/Wollen sind jedoch weitere Arbeiten notwendig.

Literatur

Brady, Henry E./Verba, Sidney/Schlozman, Kay Lehman. (1995). Beyond SES. A Resource Model of Political Participation. The American Political Science Review, 89 (2), 271–294.

Regina Weber, M.A.

Universität Duisburg-Essen

Doktorandin und Lehrbeauftragte, Lehrstuhl für empirische Politikwissenschaft

Homepage: http://www.reginaweber.de

E-Mail: regina.weber@uni-due.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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